Der Bundesrat
Faktenblatt, 13.06.2025
Worum geht es?
Die Schweiz ist eng in das europäische Stromsystem integriert. Das ist physikalisch und geo-
grafisch bedingt, jedoch rechtlich nicht mit der EU abgesichert. Ebenso ist die Schweiz nicht
Teil des EU-Strombinnenmarktes. Die fehlende rechtliche Absicherung und Einbindung in den
Strombinnenmarkt sind mit Nachteilen verbunden:
•
Die Verfügbarkeit der Kapazitäten zur grenzüberschreitenden Übertragung von Strom
(sog. «Grenzkapazitäten») ist nicht in allen Fällen gewährleistet. Das bedeutet, dass der
Stromimport in die Schweiz unter Umständen eingeschränkt werden könnte. Dies beein-
trächtigt die Versorgungssicherheit.
•
Die Betreiberin des Schweizer Stromübertragungsnetzes, Swissgrid, ist nur zum Teil in die
europäischen Prozesse zur Sicherstellung der Netzstabilität eingebunden. Dies erschwert
den Netzbetrieb, u.a. durch ungeplante Stromflüsse, und führt zu Risiken und Mehrkosten.
•
Die Schweizer Stromversorger können nicht am EU-Strombinnenmarkt teilnehmen. Damit
kann die flexibel einsetzbare Wasserkraft nicht optimal eingesetzt werden, und es entge-
hen Handelsopportunitäten.
Das Stromabkommen stärkt die Versorgungssicherheit sowie den sicheren Netzbetrieb und
vereinfacht den Austausch und Handel von Strom.
Grundzüge
Schweizer Akteure können mit einem Stromabkommen gleichberechtigt und ohne Hürden am
europäischen Strombinnenmarkt teilnehmen sowie an EU-Handelsplattformen, Agenturen und
Gremien, die für den Stromhandel, die Netzstabilität, die Versorgungssicherheit und die Kri-
senvorsorge wichtig sind. Die Übertragungsnetzbetreiberin Swissgrid wird vollständig in die
europäischen Prozesse zum Betrieb des Übertragungsnetzes eingebunden. Die Kooperation
von Schweizer Behörden und Institutionen mit ihren Pendants auf europäischer Ebene wird
abgesichert.
Öffnung des Schweizer Strommarkts: Mit dem Stromabkommen muss die Schweiz die freie
Lieferantenwahl für alle Endverbraucherinnen und Endverbraucher gewährleisten. Die Schweiz
hat das Recht, die Öffnung mit einer regulierten Grundversorgung inkl. regulierter Preise für
Haushalte und Unternehmen unter einer gewissen Verbrauchsschwelle zu flankieren. Ein
Wechsel in den Markt oder zurück ist unter Berücksichtigung von Fristen und allenfalls unter-
jähriger Wechselkosten möglich. Ebenso können die Behörden Begleitmassnahmen zum
Schutz der Endverbraucherinnen und Endverbraucher oder des Personals der Stromwirtschaft
treffen. Schweizer Stromversorger und Verteilnetzbetreiber können weiterhin in der öffentlichen
Hand und in der öffentlichen Verwaltung integriert bleiben.
Versorgungssicherheit: Die EU gewichtet die Versorgungsicherheit im Strombinnenmarkt hoch.
Mit einem Stromabkommen dürfen Nachbarstaaten Stromflüsse in die Schweiz nicht ein-
schränken (im Sinne von Exportbeschränkungen), auch im Fall einer Energiekrise nicht. Im
2
Stromabkommen wird explizit festgehalten, dass Grenzkapazitäten gerade auch in Krisenzei-
ten zur Verfügung stehen. Das Stromabkommen erhöht damit die Versorgungssicherheit und
reduziert den Bedarf an Stromreserven.
Die Schweiz kann auch unter dem Stromabkommen notwendige Reserven im Inland erstellen,
um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das Stromabkommen sichert der Schweiz das
Recht zu, bei der Bedarfsanalyse spezifische Schweizer Eigenheiten zu berücksichtigen. Dies
schafft zusätzlichen Handlungsspielraum. Diese Flexibilität wurde als Ausnahme von der dy-
namischen Rechtsübernahme abgesichert.
Um die Transition zu erleichtern, wurde zudem eine Übergangsfrist von sechs Jahren für all-
fällige Schweizer Reserven ausgehandelt, die nicht mit dem Stromabkommen kompatibel sind.
Gleichzeitig kann die Schweiz die Zusammenarbeit mit den EU-Gremien in Bezug auf Netzsta-
bilität, Versorgungssicherheit und Krisenvorsorge stärken.
Ausbau der erneuerbaren Energien: Im Stromabkommen wird die beidseitige Kooperation im
Bereich der erneuerbaren Energien und die Absicht, den Anteil der erneuerbaren Energien im
Energiesystem zu erhöhen, ausdrücklich festgelegt. Im Stromabkommen wird ein Ziel für den
weiteren Ausbau festgelegt. Schweizer Herkunftsnachweise für erneuerbaren Strom werden
von der EU mit dem Stromabkommen wieder anerkannt. Mit dem Stromabkommen übernimmt
die Schweiz auch Regeln bei den staatlichen Beihilfen. Die wichtigsten Schweizer Fördermas-
snahmen für erneuerbare Energien wurden in den Verhandlungen abgesichert, indem sie als
mit EU-Recht vereinbar erklärt wurden.
Schweizer Wasserkraft: Das Stromabkommen enthält keine Vorgaben zum Wasserzins oder
zur Vergabe von Konzessionen für Wasserkraftwerke. Die Schweiz kann ihre Praxis beibehal-
ten. Die temporäre Reduktion des Wasserzinses als Teil der Förderung erneuerbarer Energien
(Investitionsbeiträge Wasserkraft) wird im Stromabkommen explizit abgesichert. Weiter wird im
Stromabkommen festgehalten, dass die Schweiz eigenständig über die Nutzung ihrer Wasser-
kraft entscheiden und die Wasserkraft sich in öffentlicher Hand befinden kann.
Keine neuen Vorgaben im Umweltrecht: Die Schweiz verpflichtet sich mit dem Stromabkom-
men nicht dazu, EU-Umweltrecht anzuwenden, garantiert aber
ein
hohes und zur EU äquiva-
lentes Niveau an Umweltschutz im Strombereich. Die Schweiz kann auch strengere Umwelt-
standards anwenden, wenn sie dies wünscht.
Das Stromabkommen umfasst weder den Verbrauch von Strom noch andere Energieträger
noch den Bereich (Gebäude-)Energieeffizienz. Es berührt kantonale Kompetenzen in diesen
Bereichen nicht.
Zudem ist vorgesehen, dass die Schweizer Stromversorger für die Abschaffung des Einspei-
sevorrangs der Langfristverträge im grenzüberschreitenden Stromnetz während einer Über-
gangsdauer von sieben Jahren finanziell kompensiert werden. Wasserkraft-Grenzkraftwerke
mit bestehenden, geringfügigen Einspeisevorrängen behalten diese während einer Übergangs-
dauer von 15 Jahren.
Schliesslich enthält das Abkommen eine Klausel, wonach die Schweiz und die EU eine weitere
Vertiefung der Kooperation im Energiesektor, insbesondere für Wasserstoff und erneuerbare
Gase, prüfen werden.
Umsetzung in der Schweiz
Die Umsetzung des Abkommens in der Schweiz erfolgt in zwei Etappen. Die erste Etappe
umfasst die für das Funktionieren des EU-Strombinnenmarktes wichtigen Elemente, darunter
die Öffnung des Marktes für alle Endverbraucherinnen und Endverbraucher (mit Standard re-
gulierte Grundversorgung mit regulierten Preisen für Haushalte und kleinere Unternehmen).
In der ersten Etappe der Umsetzung sind Anpassungen des Stromversorgungsgesetzes, des
Energiegesetzes und des Bundesgesetzes über die Aufsicht und Transparenz in den Ener-
giegrosshandelsmärkten vorgesehen. Die wichtigsten Anpassungen im Überblick:
3
Marktregulierung: Zusammen mit dem Stromabkommen wird die Schweiz die Marktöffnung für
alle Endverbraucherinnen und Endverbraucher einführen. Diese ermöglicht es allen Kundinnen
und Kunden, ihren Stromanbieter frei zu wählen. Die Marktöffnung wird von einer regulierten
Grundversorgung mit regulierten Preisen für Haushalte und kleinere Unternehmen unter einem
Jahresverbrauch von 50 MWh pro Verbrauchsstätte flankiert. Sie können in der Grundversor-
gung bleiben oder in diese zurückkehren. Zusätzlich sind Begleitmassnahmen zum Konsumen-
tenschutz und zum Schutz des Personals der Stromwirtschaft vorgesehen. Diese umfassen
eine Vergleichsplattform für Marktangebote, eine neue Ombudsstelle mit Schlichtungsmöglich-
keit, an die sich Kundinnen und Kunden im Streitfall wenden können, Vorgaben an Vertragsin-
halte im freien Markt, eine Überwachung des Kleinkundenmarktes durch die Eidgenössische
Elektrizitätskommission ElCom sowie Gegenmassnahmen bei negativen Auswirkungen auf
das Personal der Stromwirtschaft. Für voraussichtlich 17 grosse Verteilnetzbetreiber gelten
weitergehende, rechtliche und organisatorische Entflechtungsvorschriften (Trennung von Netz-
betrieb und Stromproduktion und -lieferung). Sie können aber im Besitz der öffentlichen Hand
und in der öffentlichen Verwaltung integriert bleiben, sofern dies gewünscht ist. Zudem sind die
Regeln über die Aufsicht und Transparenz der Energiegrosshandelsmärkte denjenigen der EU
geringfügig anzupassen.
Netze: Bislang legt das Stromversorgungsgesetz (StromVG) physische Einspeisevorränge im
grenzüberschreitenden Stromnetz für Langfristverträge und Wasserkraft-Grenzkraftwerke
(zum Beispiel Rhein-Kraftwerke) fest. Die EU hat solche Einspeisevorränge bereits ab 2003
innert kurzer Frist und ohne Entschädigung abgeschafft, da sie den EU-Strombinnenmarkt be-
hindern. Mit der Umsetzung des Abkommens werden die Einspeisevorränge im StromVG ab-
geschafft. In der Schweiz erfolgt der Wegfall der Vorränge gegen eine im Abkommen geregelte
mehrjährige finanzielle Kompensation der betroffenen Stromversorger.
Versorgungssicherheit: Die Umsetzung der Regeln der EU zur Gewährleistung der Versor-
gungssicherheit und insbesondere eines adäquaten Stromsystems erfordert eine Zuweisung
von neuen oder die Anpassung von bestehenden Rollen und Verantwortlichkeiten von Schwei-
zer Institutionen (bspw. des BFE oder der ElCom).
Staatliche Beihilfen: Mit dem Stromabkommen werden die wichtigsten bestehenden Schweizer
Fördermassnahmen als mit dem Abkommen kompatibel erklärt und für mehrere Jahre abgesi-
chert. Zukünftige Fördermassnahmen sind so zu gestalten, dass keine Widersprüche zum Ab-
kommen entstehen. Des Weiteren ist die künftige schweizerische Beihilfeüberwachungsbe-
hörde bereits im Stadium der Konzipierung der Fördermassnahmen einzubeziehen.
Spätestens drei Jahre nach der ersten Etappe folgt die zweite Etappe der Umsetzung des Ab-
kommens mit weiteren Aspekten der Markt- und Netzregulierung. Die Kompetenz zur Netzre-
gulierung geht spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens an die unabhängige
Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) über.
Bedeutung für die Schweiz
Die Schweiz ist eng in das europäische Stromsystem eingebunden. Sie ist aber nicht Teil des
EU-Strombinnenmarktes, weshalb dessen Regeln bisher für die Schweiz nicht gelten. Dadurch
stösst die Kooperation der Schweiz mit der EU und den Nachbarstaaten an Grenzen.
Gleichzeitig steht die Stromversorgung in ganz Europa aufgrund der Dekarbonisierung, des
Kernenergieausstiegs in gewissen Staaten und der Elektrifizierung des Energiesystems vor
grossen Herausforderungen. Die grenzüberschreitenden Stromflüsse werden künftig stark stei-
gen. Dies wird die Herausforderungen der Schweiz aufgrund der fehlenden Einbindung in den
Strombinnenmarkt verschärfen.
Die Einbindung der Schweiz in den europäischen Strombinnenmarkt vereinfacht den Aus-
tausch und Handel mit Strom. Dank dem Abkommen werden die Versorgungssicherheit und
der sichere Netzbetrieb gestärkt. Es ermöglicht einen optimalen Einsatz der flexiblen Schwei-
zer Wasserkraft auf den europäischen Märkten, sichert die Stromimportfähigkeit der Schweiz,
begünstigt wettbewerbsfähige Strompreise, reduziert Kosten der Stromversorgung und fördert
den Übergang zu einem klimaneutralen Energiesystem.
4
Dies führt aus wirtschaftlicher Sicht zu Effizienzgewinnen und zu einer Steigerung des Wohl-
stands. Die Preise im Stromgrosshandel werden tendenziell sinken und die Umlagen für Netz-
kosten und Reserven können tiefer ausfallen. Dies wird sich auch auf die Preise für Endkun-
dinnen und Endkunden auswirken. Der
Service public
in der Schweiz bleibt auch unter dem
Stromabkommen vollumfänglich gewährleistet.
Konkret
▪
Freie Wahl des Stromanbieters:
Heute kann ein Haushalt nicht wählen, von welchem
Stromanbieter er seinen Strom bezieht. Abhängig vom Wohnort ist man einem bestimmten
Grundversorger zugeteilt. In einer Gemeinde kann der Stromtarif deutlich höher sein als in
einer nahegelegenen anderen Ortschaft. Vielleicht wünscht man sich auch einen Anbieter,
der einen grösseren Anteil an Strom aus einheimischer Wasserkraft oder einen flexiblen
Tarif für die Wärmepumpe oder das Elektroauto offeriert.
Grosse Verbraucher, beispielsweise Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch, dür-
fen in der Schweiz schon heute am Strommarkt teilnehmen. Mit dem Stromabkommen er-
halten auch kleine Verbraucher wie der besagte Haushalt die Möglichkeit, ihren Stroman-
bieter zu wechseln, und sie können aus einer Vielzahl an Angeboten bezüglich des Preises,
der Herkunft und der ökologischen Qualität des Stroms sowie Flexibilität des Stromtarifs
wählen. Kleine Verbraucher, die ihren Stromanbieter nicht selbst bestimmen möchten, kön-
nen beim örtlichen Stromanbieter in der regulierten Grundversorgung mit regulierten Prei-
sen bleiben. Wenn sie sich zuvor aber für das freie Marktangebot entschieden haben, kön-
nen sie grundsätzlich zur Grundversorgung zurückkehren.