Der Bundesrat
Warum ist der Bundesrat überzeugt, dass das Gesamtpaket Schweiz-EU für die Schweiz
vorteilhaft ist?
Stabile und vorhersehbare Beziehungen mit der EU – insbesondere mit den Nachbarländern –
sind von strategischer Notwendigkeit. Der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, die wissen-
schaftliche Zusammenarbeit und die gemeinsame Bewältigung aktueller Herausforderungen
fördern die Sicherheit und den Wohlstand der Schweiz. Der bilaterale Weg trägt seit 25 Jahren
massgeblich zum Erfolg der Schweiz bei. Ohne das Paket Schweiz-EU kommt dieser Weg an
sein Ende. Umgekehrt führt das Paket zu rechtlich geklärten Beziehungen mit der EU. Es er-
möglicht, den bilateralen Weg nicht nur zu stabilisieren, sondern auch weiterzuentwickeln. Das
ist im Interesse der Schweiz.
Muss die Schweiz EU-Recht automatisch übernehmen?
Nein. Die Schweiz entscheidet im Rahmen ihrer verfassungsmässigen Verfahren (z. B. Refe-
rendum), ob sie neues EU-Recht übernimmt oder nicht. Die dynamische Rechtsübernahme
bedingt immer die Zustimmung der Schweiz. Automatisch passiert nichts.
Werden die schweizerischen direktdemokratischen Mitbestimmungsrechte untergra-
ben?
Nein. Die Schweiz entscheidet gemäss ihren verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgesehe-
nen Verfahren, inklusive Referendumsmöglichkeit. Genauso wie heute. Zudem sind mit der
Verpflichtung zur dynamischen Rechtsübernahme Mitbestimmungsrechte bei der Erarbeitung
von Rechtsakten im Geltungsbereich der jeweiligen Abkommen gewährleistet. Im Bereich
Schengen/Dublin kennt die Schweiz übrigens bereits heute eine dynamische Rechtsüber-
nahme. In der Praxis führte das in den vergangenen Jahren wiederholt zu parlamentarischen
Debatten sowie mehreren Volksabstimmungen.
Kann die EU der Schweiz jederzeit ihre Gesetze aufzwingen?
Nein. Der Anwendungsbereich der Abkommen ist klar definiert und kann nicht einseitig durch
die EU ausgeweitet bzw. aufgehoben werden. Auch mit der dynamischen Rechtsübernahme
reicht es nicht, dass die EU etwas als binnenmarktrelevant erklärt. Es braucht auf jeden Fall
das Einverständnis der Schweiz.
Die neuen institutionellen Elemente, einschliesslich der dynamischen Rechtsübernahme, wür-
den nur im Rahmen der bestehenden Binnenmarktabkommen (mit Ausnahme des Agrarteils
des Landwirtschaftsabkommens) und der künftigen Binnenmarktabkommen (gegenwärtig
Stromabkommen und Protokoll zur Lebensmittelsicherheit als Teil des Landwirtschaftsabkom-
mens) zur Anwendung kommen. Beim Kooperationsabkommen im Bereich Gesundheit ist eine
analoge Anwendung der institutionellen Elemente vorgesehen. Dessen Geltungsbereich ist je-
doch auf die Gesundheitssicherheit beschränkt. Die dynamische Rechtsübernahme gilt nicht
für EU-Rechtsakte oder Teile davon, die in den Anwendungsbereich einer Ausnahme fallen.
Wird das Stimmvolk über die neuen Abkommen entscheiden?
Ob es die neuen Abkommen annehmen will, wird das Stimmvolk auf Basis der Abkom-
menstexte und nach der parlamentarischen Behandlung selbstbestimmt entscheiden. Der Bun-
desrat hat aber mit Befriedigung festgestellt, dass die Verhandlungsziele erfüllt wurden, das
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Paket Schweiz-EU das Verhältnis zu seinem wichtigsten Partner, der EU, stabilisiert und es
das Verhältnis darüber hinaus weiterentwickelt.
Wann wird das Schweizer Volk über das Abkommen abstimmen?
Nach der Vernehmlassungsphase wird der Bundesrat die Botschaft zum Paket Schweiz-EU
finalisieren und voraussichtlich im 1. Quartal 2026 an das Parlament überweisen. Wie lange
die parlamentarische Phase dauern und wieviel Zeit demnach bis zu einer Volksabstimmung
verstreichen wird, hängt nach Überweisung der Botschaft vom Parlament ab.
Was hat sich im Vergleich zum Entwurf des institutionellen Rahmenabkommens (InstA)
geändert bzw. verbessert?
Es bestehen verschiedene Verbesserungen im Vergleich zum InstA-Entwurf:
▪
Stolpersteine und Risiken des InstA konnten ausgeräumt werden, das heisst, insbesondere
bei der Unionsbürgerrichtlinie (UBRL), dem Lohnschutz und den staatlichen Beihilfen konn-
ten die offenen Fragen geklärt und im Sinn der Schweiz geregelt werden.
▪
Das Paket enthält mehr als die institutionellen Elemente und adressiert eine breitere Palette
an Schweizer Interessen.
▪
Die institutionellen Elemente werden in den einzelnen Binnenmarktabkommen separat ver-
ankert und nicht in einem Rahmenabkommen über alle Binnenmarktabkommen hinweg. So
kann auf die Eigenheiten der einzelnen Abkommen eingegangen werden, was beim InstA
nicht der Fall war.
▪
Die Zuständigkeit des Bundesgerichts und anderer schweizerischer Gerichte ist ausdrück-
lich gewährleistet.
▪
Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei der Streitbeilegung ist präziser um-
schrieben. Im Abkommen ist explizit festgehalten, dass dem EuGH bei Streitigkeiten über
Ausnahmen, die keine Begriffe des EU-Rechts implizieren, keine Rolle zukommen wird.
▪
Das Freihandelsabkommen Schweiz-EU von 1972 ist nicht Teil des Pakets Schweiz-EU.
Eine Harmonisierung der Agrarpolitik und eine horizontale Beihilferegulierung gestützt auf
das Paket sind ausgeschlossen.
Eine Vielzahl von Gesetzen müssen neu geschrieben werden. Die Genehmigungsvor-
lage umfasst 1800 Seiten. Führt diese starke Regulierung zu einer grösseren Bürokratie?
Im Rahmen des Pakets Schweiz-EU sind insgesamt 95 EU-Gesetzgebungsakte für die
Schweiz von Bedeutung. In dieser Zahl nicht enthalten sind die EU-Rechtsakte ohne Geset-
zescharakter; sie entsprechen dem Verordnungsrecht in der Schweiz. Für die Umsetzung des
Pakets wird die Schweiz 3 neue Gesetze erlassen und 32 Gesetze anpassen. Bei 12 Gesetzen
sind substantielle Anpassungen notwendig, bei 20 weiteren geringfügige.
Der Umfang der Genehmigungsvorlage und die Anzahl der innerstaatlichen Gesetzesanpas-
sungen sagt nichts über das Mass der Bürokratie aus, das mit dem Paket Schweiz- EU allen-
falls verbunden ist. Das Paket Schweiz-EU führt in einigen Bereichen zu bürokratischen Er-
leichterungen für die Schweizer Unternehmen.
Warum empfiehlt der Bundesrat ein fakultatives Referendum?
Der Bundesrat ist nach einer Analyse der Verhandlungsergebnisse zum Schluss gekommen,
dass das Paket Schweiz-EU nicht die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein obliga-
torisches Referendum erfüllt.
Nota bene
stellt das Paket keinen Eingriff in die innere Struktur
der Schweiz dar. Das Paket wahrt das Funktionieren der Schweizer Institutionen, die direkte
Demokratie, den Föderalismus und die Unabhängigkeit des Landes. Die Umsetzung des Pa-
kets erfordert auch keine Anpassung der Verfassung. Zudem bewirkt das Paket keine grund-
legende Neuorientierung der schweizerischen Aussenpolitik.
Diese Vorgehensweise entspricht der bisherigen Praxis in vergleichbaren Fällen: Auch die Bi-
lateralen I (1999) und Bilateralen II (2004) wurden dem fakultativen Referendum unterstellt.
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Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Schengen/Dublin-Assoziie-
rungsabkommen von 2004. Damals verpflichtete sich die Schweiz zur dynamischen Über-
nahme von EU-Recht. Der Bundesrat hielt damals fest, dass die Abkommen «
zu keiner tief-
greifenden Änderung unseres Staatswesens führen und mithin auch nicht die verfassungsmäs-
sige Ordnung tangieren
». National- und Ständerat bestätigten diese Einschätzung.
Das Paket Schweiz-EU geht in dieser Hinsicht sogar weniger weit, denn bei Schengen/Dublin
enden die Abkommen bei einer Nichtübernahme des EU-Rechts, während das neue Paket in
diesem Fall Streitbeilegungsverfahren und allenfalls Ausgleichsmassnahmen vorsieht.
Das fakultative Referendum erlaubt überdies die wichtige Verknüpfung der Abkommen mit der
jeweiligen Umsetzungsgesetzgebung in einer Abstimmungsvorlage.
I
nsbesondere im Hinblick
auf zentrale innenpolitische Massnahmen in den Bereichen Lohnschutz und Zuwanderung
stellt sie aus demokratiepolitischer Sicht die überzeugendere Lösung dar.
Wer trifft den definitiven Entscheid?
Bei der Frage der Referendumsart liegt die endgültige Entscheidung beim Parlament. Die Kan-
tone können auch dazu Stellung nehmen. Mit seinem Entscheid für ein fakultatives Referen-
dum nimmt der Bundesrat seine Verantwortung wahr, indem er im Hinblick auf die Vernehm-
lassung seine Position zu einer sehr wichtigen innenpolitischen Frage klärt, ohne die Gestal-
tungsmöglichkeit von Parlament und Kantonen einzuschränken.
ESG-Richtlinien der EU: Die den Richtlinien unterstellten Konzerne müssen 1’100
Punkte erfüllen. kommt eine enorme, kostspielige Belastung auf die Schweizer Unter-
nehmen zu.
Die Richtlinien über Umwelt, Soziales und Governance (ESG) fallen nicht in den Geltungsbe-
reich eines der Binnenmarkabkommen Schweiz-EU. Sie müssen von der Schweiz daher nicht
übernommen werden.
Direkt oder indirekt beeinflusst diese EU-Rechtsetzung bereits heute viele Schweizer Unter-
nehmen, wenn sie in der EU aktiv sind oder in ESG-relevante Geschäftsbeziehungen mit EU-
Unternehmen pflegen. Das Paket Schweiz-EU ändert daran nichts.
Was sind die institutionellen Elemente, und warum sind sie so wichtig?
Die institutionellen Elemente regeln in den Binnenmarktabkommen (sowie im Gesundheitsab-
kommen, wo sie analog angewendet werden) die dynamische Rechtsübernahme, die einheit-
liche Anwendung und Auslegung der Abkommen, deren Überwachung sowie die Streitbeile-
gung.
Sie sorgen dafür, dass die betreffenden Abkommen reibungslos und langfristig funktionieren.
Sie schaffen Voraussehbarkeit, Rechtssicherheit und stellen sicher, dass im gemeinsamen
Markt alle gleich lange Spiesse haben. Das ist insbesondere für die Schweizer Wirtschaftsak-
teure essenziell.
Wieso ist die Schweiz bereit, EU-Recht zu übernehmen?
Die Schweiz will in einzelnen Bereichen am Binnenmarkt der EU teilnehmen. Sie muss in die-
sen Bereichen die gleichen Spielregeln beachten wie die EU-Mitgliedstaaten. Dass alle Teil-
nehmenden am EU-Binnenmarkt die gleichen Spielregeln befolgen, liegt auch im Interesse der
Schweiz sowie ihrer Unternehmen und Bürger/innen.
Daher soll für EU-Rechtsakte, die in den Geltungsbereich der Binnenmarktabkommen und
nicht unter eine Ausnahme oder die Nichtregressionsklausel im Lohnschutz fallen, die dynami-
sche Rechtsübernahme gelten. Die Schweiz erhält aber ein Mitspracherecht bei der Entwick-
lung dieses Rechts und kann so ihre Interessen bereits bei der Erarbeitung dieser Rechtsakte
im Rahmen der EU einbringen (
decision shaping
).
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Höhlt die dynamische Rechtsübernahme die direkte Demokratie und die Kompetenzen
des Parlaments aus?
Nein. Die Schweiz übernimmt EU-Recht gemäss ihren üblichen Verfahren. Konkret bedeutet
das, dass die Schweiz bei jeder künftigen Rechtsübernahme einen völkerrechtlichen Vertrag
(in der Form eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses) mit der EU abschliessen wird,
der dem innerstaatlichen Genehmigungsverfahren untersteht, inklusive eines allfälligen Refe-
rendums. Die Schweiz kann die Übernahme gegebenenfalls verweigern. Sie muss dann aber
mit Ausgleichsmassnahmen rechnen. Diese müssen sich auf die Binnenmarktabkommen be-
ziehen und verhältnismässig sein. Das heisst: Sie sollen die Nachteile aufwiegen, die der EU
durch die allfällige Nichtübernahme entstehen; nicht mehr und nicht weniger.
Im Bereich Schengen/Dublin kennen wir im Übrigen bereits heute die dynamische Rechtsüber-
nahme; in diesem Zusammenhang fanden in den vergangenen Jahren intensive Parlaments-
debatten sowie mehrere Volksabstimmungen zur Übernahme von Schengen/Dublin-relevanten
EU-Rechtsakten statt.
Gibt die Schweiz mit der dynamischen Rechtsübernahme ihre Souveränität auf?
Nein. Die Schweiz kann weiterhin eigenständig entscheiden, ob sie neues relevantes EU-Recht
übernehmen will; gegebenenfalls muss sie jedoch verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen
der EU in Kauf nehmen. Das politische System der Schweiz, ihre Institutionen und deren Funk-
tionieren werden von der dynamischen Rechtsübernahme aber nicht tangiert. Zugleich schüt-
zen wichtige Ausnahmen von der dynamischen Rechtsübernahme sowie eine Nichtregressi-
onsklausel im Bereich Lohnschutz ihre Interessen.
Und die Schweiz erhält das Recht, bei der Entwicklung des für sie relevanten EU-Rechts mit-
zuarbeiten. Ihre Fachleute können Schweizer Standpunkte und Interessen einbringen, bevor
die EU neues, für die Binnenmarktabkommen relevantes Recht verabschiedet (sogenanntes
decision shaping
). Das kann als Souveränitätsgewinn im Vergleich zur heutigen Situation an-
gesehen werden.
Führen die institutionellen Elemente zu einer Anbindung an die EU?
Nein. Die neuen institutionellen Elemente werden nur in die Binnenmarktabkommen aufgenom-
men (und zusätzlich im Gesundheitsabkommen, wo sie analog angewendet werden). Sie
schaffen Rechtssicherheit und gleiche Spielregeln zwischen allen Teilnehmenden am Binnen-
markt. Die institutionellen Elemente sind eine massgeschneiderte Lösung für eine Fortsetzung
des besonderen Verhältnisses zwischen der Schweiz und der EU.
Werden fremde Richter die Schweizer Gesetzgebung bestimmen?
Nein. Die Schweiz bestimmt ihre Gesetzgebung selbst. Sollten sich aber die Schweiz und die
EU im Binnenmarktbereich in einem Konfliktfall nicht einigen, kann ein paritätisches Schieds-
gericht angerufen werden.
Die Parteien behalten die Autonomie ihrer Gerichte betreffend die Auslegung ihres eigenen
Rechts. Es besteht folglich keine Asymmetrie.
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entscheidet nie über einen Streitfall. Erachtet
das paritätische Schiedsgericht – bestehend aus je einer Richterin oder einem Richter der
Schweiz und der EU sowie einer oder einem gemeinsam ernannten Vorsitzenden – eine Aus-
legung des EU-Rechts für seine Entscheidungsfindung für notwendig und relevant, ruft es den
EuGH an, und zwar ausschliesslich zu diesem Zweck. Der EuGH kann nicht von sich aus in
einem Schiedsgerichtsverfahren intervenieren.
Die Kompetenzen der Schweizer Gerichte und des Bundesgerichts werden durch das Ver-
handlungsergebnis nicht beeinträchtigt.
Da die Binnenmarktabkommen nicht auf Schweizer Recht gründen, ist es weder vorgesehen
noch erforderlich, dass das Schiedsgericht dem Bundesgericht Fragen unterbreitet.
Der Streitbeilegungsmechanismus ist schliesslich rein zwischenstaatlich. Und es ist immer das
Schiedsgericht, das in der Hauptsache endgültig entscheidet.
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Der Schiedsgerichtsmechanismus ist für die Schweiz nicht neu. In anderen Bereichen, wie zum
Beispiel bei den Investitionsschutzabkommen oder im Rahmen des WTO-Streitschlichtungs-
systems, hat sie damit breite Erfahrung.
Wird die Schweiz «bestraft», wenn sie eine Übernahme von EU-Recht ablehnt?
Nein. Wenn sich die Schweiz gegen die Übernahme eines EU-Rechtsaktes entscheidet, kann
die EU eine Ausgleichsmassnahme ergreifen. Diese dient dazu, den Nachteil auszugleichen,
der der EU durch die Nichtübernahme entsteht. Ausgleichsmassnahmen dürfen nur im betroffe-
nen Abkommen selbst oder in einem anderen Binnenmarktabkommen ergriffen werden (im
Agrarteil des Landwirtschaftsabkommens nur im Fall einer Verletzung des Landwirtschaftsab-
kommens inkl. dem Teil zur Lebensmittelsicherheit und im Gesundheitsabkommen nur inner-
halb dieses Abkommens oder in Bezug auf die Beteiligung der Schweiz am EU-Gesundheits-
programm) und müssen im Verhältnis zum entstandenen Ungleichgewicht stehen. Mit dem
Paket Schweiz-EU ist die Schweiz künftig vor «Strafen» durch die EU geschützt, denn politi-
sche und sachfremde Retorsionsmassnahmen (wie z.B. eine Massnahme im Forschungs- oder
Börsenbereich) sind nicht mehr zulässig.
Warum ist im Zusammenhang mit den neuen Abkommen von Rechtssicherheit die
Rede?
Aus zwei Gründen: Einerseits können sich Schweizer Unternehmen darauf verlassen, dass der
Zugang zum EU-Binnenmarkt rechtlich langfristig abgesichert ist, weil die Binnenmarktabkom-
men zwischen der Schweiz und der EU neu regelmässig aufdatiert werden müssen. Anderer-
seits bieten die neuen Abkommen mit dem Streitbeilegungsmechanismus einen rechtlichen
Rahmen zur Lösung von Konflikten zwischen der Schweiz und der EU: Uneinigkeiten werden
geregelt und können nicht mehr zu willkürlichen Massnahmen und politischen Druckversuchen
führen.
Was versteht man unter staatlichen Beihilfen, und welche konkreten Massnahmen wer-
den dazu gezählt?
Staatliche Beihilfen verschaffen bestimmten Unternehmen wirtschaftliche Vorteile und können
darum den Wettbewerb verfälschen. Dabei kann es sich um Zuschüsse zu Gunsten bestimmter
Unternehmen oder um sonstige finanzielle Vorteile wie vergünstigte Darlehen, Staatsgarantien,
Steuervergünstigungen etc. handeln.
Warum hat sich die Schweiz auf die Verhandlung mit der EU über die staatlichen Beihil-
fen eingelassen? Was ist der Nutzen für die Schweiz?
Die EU hat in Bezug auf Binnenmarktabkommen klargestellt, dass alle Akteure, welche am EU-
Binnenmarkt teilnehmen, den gleichen Bedingungen und Regeln unterstehen (
level playing
field
). Dies betrifft somit auch die Regulierung von staatlichen Beihilfen. Gleiche Wettbewerbs-
bedingungen in Bereichen, wo sie sich am EU-Binnenmarkt beteiligt, sind grundsätzlich auch
im Interesse der Schweiz. Ausserdem ist die möglichst zielführende Verwendung öffentlicher
Gelder aus Schweizer Sicht ein Vorteil.
Warum werden Regeln über staatliche Beihilfen nur für das Luftverkehrs-, das Landver-
kehrs- und das neue Stromabkommen verhandelt, nicht aber für das Landwirtschafts-
abkommen?
Bestimmungen zu staatlichen Beihilfen sind nur dort vorgesehen, wo sie bezüglich Teilnahme
am EU-Binnenmarkt relevant sind. Dies ist bei den drei Binnenmarktabkommen Strom, Luft-
verkehr und Landverkehr der Fall.
Nicht aber beim Landwirtschaftsabkommen (inkl. Lebensmittelsicherheitsprotokoll). In der Aus-
gestaltung ihrer Agrarpolitik bleiben beide Seiten eigenständig. Das heisst auch: Schweizer
Direktzahlungen, welche die Besonderheiten der Schweiz berücksichtigen, bleiben zulässig,
und die Schweiz entscheidet diesbezüglich weiterhin eigenständig.
6/29
Warum werden staatliche Beihilfen oft kritisch betrachtet, und unter welchen Umständen
gelten sie als legitim?
Da es sich um finanzielle Vorteile handelt, die bestimmte Unternehmen oder Produktions-
zweige begünstigen, können staatliche Beihilfen den Wettbewerb verfälschen.
Im Regelfall sind staatliche Beihilfen aber durch übergeordnete öffentliche Interessen gerecht-
fertigt. Beispielsweise kann dies bei der Förderung von Innovationen oder umweltfreundlichen
Technologien zutreffen. In solchen Fällen kann der gesellschaftliche Nutzen einer Beihilfe hö-
her gewertet werden als die allenfalls daraus resultierende Wettbewerbsverfälschung.
Daher kennt beispielsweise das EU-Beihilferecht weitreichende Ausnahmebestimmungen, ins-
besondere im Bereich des «Service public».
Können mit dem Paketansatz die Service public-Leistungen in der Schweiz erhalten blei-
ben?
Ja. Sie werden auch im Rahmen des Paketansatzes weder umfassend noch per se dem EU-
Beihilferecht unterstellt. Relevant ist der Geltungsbereich der Binnenmarktabkommen
Schweiz–EU, die Beihilfebestimmungen enthalten. In Betracht kommen nur die Bereiche
Strom, Luft- und Landverkehr im Geltungsbereich der Abkommen. Nur hier würden Beihilfebe-
stimmungen zur Anwendung kommen.
Nicht alle Unterstützungsmassnahmen sind «staatliche Beihilfen» (zum Beispiel, wenn keine
unternehmerische Tätigkeit vorliegt oder wenn im Handelsbereich keine grenzüberschreiten-
den Auswirkungen absehbar sind).
Hinzu kommt: Das EU-Beihilferecht kennt viele Ausnahmebestimmungen, insbesondere im Be-
reich sogenannter «Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse» (zum Bei-
spiel Notfalldienste, Spitäler, Kinderbetreuung oder sozialer Wohnungsbau – wobei diese The-
men ohnehin nicht unter den Geltungsbereich der betroffenen Binnenmarktabkommen fallen).
Staatliche Unterstützungsmassnahmen sollen dort möglich sein und zum Zug kommen, wo der
Markt nicht funktioniert.
Gefährden die neuen Abkommen den Service public in der Schweiz?
In den Beziehungen zur EU stellt sich die Frage des Service public nur dort, wo es ein Binnen-
marktabkommen mit Beihilfebestimmungen gibt. In den meisten Bereichen – wie Notfall-
dienste, Spitäler, Kinderbetreuung oder sozialer Wohnungsbau – gibt es kein solches Abkom-
men. Die Abkommen tangieren den Service public in diesen Bereichen daher nicht.
In den Binnenmarktabkommen hat die Schweiz, wo nötig, Ausnahmen verhandelt, um den Ser-
vice public zu schützen. Davon abgesehen gibt es auch in der EU weitreichende Ausnahme-
bestimmungen vom Beihilfeverbot, welche gewisse Beihilfen im öffentlichen Interesse trotzdem
zulassen.
Ist die Ausgestaltung von Steuern von Bund und Kantonen von einer Übernahme der
EU-Beihilferegeln tangiert?
Die Steuerautonomie bleibt gewährleistet: Jeder Kanton und jede Gemeinde kann weiterhin
ein eigenes Steuersystem haben. Kommt es aber innerhalb dieses Systems beispielsweise
zu selektiven Steuerbegünstigungen einzelner Unternehmen, dann kann das eine Beihilfe dar-
stellen, die unter Umständen nicht mit dem EU-Beihilferecht vereinbar ist. Dies gilt jedoch nur
für die drei Sektoren, in denen die Schweiz und die EU ein Abkommen abgeschlossen haben,
das Beihilferegeln umfasst (Strom, Luft- und Landverkehr). Zudem gelten die vereinbarten Min-
dest-Schwellenwerte.
Wird durch die mögliche Übernahme von EU-Beihilferecht im Landverkehrsabkommen
der Service public (nationaler und Regionalverkehr) in der Schweiz beeinträchtigt?
Nein. Der rein inländische Verkehr ist vom Landverkehrsabkommen nicht abgedeckt.
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Lediglich im Geltungsbereich des LVA könnten Beihilferegeln allenfalls anwendbar werden.
Das Abkommen betrifft den internationalen Strassen- und Schienenverkehr (Güter- und Per-
sonenverkehr).
Ausserdem gibt es im EU-Beihilferecht zahlreiche Ausnahme- und Rechtfertigungsgründe für
staatliche Beihilfen, z.B. für Abgeltungen des öffentlichen Verkehrs, die Förderung der Verla-
gerung etc.
Auch die Förderung/Bestellung des grenzüberschreitenden Regionalverkehrs in Grenzregio-
nen (namentlich Tessin, Basel, Genf) wird weiterhin möglich sein. Die Schweiz hat viel in grenz-
überschreitenden Regionalverkehr investiert. Deshalb möchte sie weiterhin selbst bestimmen,
wer diesen anbietet. Es gilt deshalb keine Ausschreibungspflicht in diesem Bereich, was wei-
terhin Direktvergaben an die SBB ermöglicht. Unternehmen die nur im Stadt-, Vorort- oder Re-
gionalverkehr (z.B. Tram, Centovalli-Bahn) tätig sind, sind ausgenommen.
Wären Staatsgarantien für Kantonalbanken, Gebäudeversicherungen oder sozialen
Wohnungsbau aufgrund der Beihilferegeln noch möglich?
Ja. Weder die Staatsgarantie für Kantonalbanken noch die Gebäudeversicherungen noch der
soziale Wohnungsbau sind tangiert. In diesen Bereichen gibt es keine Binnenmarktabkommen
mit der EU.
Die EU setzt immer stärker auf eine vertikale Industriepolitik und lockert ihre Beihilfere-
geln. Wieso verpflichtet sich die Schweiz zu Beihilferegeln, wenn sich die vertragliche
Gegenpartei in die andere Richtung bewegt?
Die Einführung der Beihilfeüberwachung im Geltungsbereich der drei Binnenmarktabkommen
ist für die EU eine notwendige Voraussetzung, die Abkommen zu aktualisieren bzw. das Strom-
abkommen zu unterzeichnen.
Mit dem Beihilfeprotokoll verpflichtet sich die Schweiz, die materiellrechtlichen Beihilfebestim-
mungen dynamisch zu übernehmen. Dies bedeutet: Wenn die EU ihre materiellen Beihilfere-
geln aufweicht, gelten diese Aufweichungen auch für die Schweiz (nachdem sie in die jeweili-
gen Abkommen integriert wurden).
In der EU gilt das Beihilferecht nur für die EU-Mitgliedstaaten und nicht für die EU selbst.
Sind das noch gleichlange Spiesse?
Im Rahmen der Verhandlungen des Pakets Schweiz-EU haben sich die Vertragsparteien auf
eine gemeinsame Erklärung geeinigt, wonach die Schweiz Konsultationen beantragen kann,
wenn die Europäische Kommission selbst eine finanzielle Unterstützung gewährt, die den Wett-
bewerb für Schweizer Unternehmen verzerren könnte. Denn direkte Unterstützungen der Eu-
ropäischen Kommission (also nicht der Mitgliedsländer) unterstehen nicht den Beihilferegeln.
Mit der gemeinsamen Erklärung erhält die Schweiz als Drittstaat einen Anknüpfungspunkt, all-
fällige industriepolitische Massnahmen der EU zu adressieren.
Im Übrigen werden industriepolitische Massnahmen der EU oft auch via die Mitgliedstaaten
ausgezahlt. In diesem Fall können sie ebenfalls in der EU der Beihilfeüberwachung unterste-
hen.
Was ändert sich bei der Beihilfeüberwachung im Vergleich zu heute?
Im Geltungsbereich des Luftverkehrsabkommens gibt es bereits heute mit dem EU-Recht ver-
gleichbare Regeln über staatliche Beihilfen. Es gibt dort auch bereits eine Beihilfeüberwa-
chung, die künftig noch gestärkt wird.
Beim Landverkehrs- und beim Stromabkommen wird es sowohl materielle Regeln über staatli-
che Beihilfen als auch eine Überwachung durch eine unabhängige Schweizer Behörde und
Schweizer Gerichte geben. Dies ist im Vergleich zu heute eine Neuerung. Zudem wird Trans-
parenz über die Ausgabe von Steuergeldern in den drei Bereichen (Land- und Luftverkehr so-
wie Strom) geschaffen.
Wie stellt die Schweiz die Äquivalenz ihrer Beihilfeüberwachung zu derjenigen der EU
sicher?
8/29
Um ein mit dem EU-Überwachungssystem äquivalentes System zu errichten, muss die
Schweiz die diesbezüglichen Vorgaben der Beihilfeprotokolle zum Land- und Luftverkehrsab-
kommen und des Stromabkommens erfüllen.
Um die schweizerische Verfassungsordnung einzuhalten sowie die Kompetenzen der Kantone,
der Bundesversammlung und des Bundesrates zu respektieren, wurden Abweichungen vom
Überwachungssystem der EU in den Beihilfeprotokollen und im Stromabkommen festgehalten.
Beispielsweise sind die Stellungnahmen der schweizerischen Überwachungsbehörde – im Ge-
gensatz zu den Entscheidungen der Europäischen Kommission im EU-System – unverbindlich.
Wenn eine Beihilfe gewährt wird, die die schweizerische Überwachungsbehörde als unzulässig
erachtet, muss sie eine Beschwerde vor dem zuständigen schweizerischen Gericht er-heben.
Bis zum Gerichtsurteil gilt die aufschiebende Wirkung, d.h. die Beihilfe kann nicht gewährt wer-
den. Damit wird sichergestellt, dass das schweizerische Überwachungssystem die gleiche Wir-
kung entfaltet wie dasjenige der EU.
Daueraufenthalt und Sozialhilfe:
Welche Regeln gelten beim Daueraufenthaltsrecht für EU-Staatsangehörige in der EU?
Innerhalb der EU wird das Daueraufenthaltsrecht nach einem Aufenthalt von fünf Jahren erteilt.
Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erhalten haben, können Sozialhilfe beziehen, ohne
dass ihr Aufenthaltsrecht entzogen werden kann.
Welche Ausnahme konnte die Schweiz beim Daueraufenthaltsrecht für EU-Staatsange-
hörige aushandeln?
Nur erwerbstätige EU-Staatsangehörige und ihre Familienangehörigen, die sich seit fünf Jah-
ren rechtmässig in der Schweiz aufhalten, können das Daueraufenthaltsrecht erhalten. Dabei
werden Perioden, während denen sie für sechs Monate oder mehr vollständig auf Sozialhilfe
angewiesen waren, nicht an die fünf Jahre angerechnet. Nichterwerbstätige EU-Staatsange-
hörige haben keinen Anspruch auf das Daueraufenthaltsrecht. Das Daueraufenthaltsrecht wird
unter den gleichen oben genannten Bedingungen auch den erwerbstätigen Schweizerinnen
und Schweizern in der EU nach einem Aufenthalt von fünf Jahren gewährt.
Die durch die Schweiz ausgehandelte Regelung ist also strenger. Die Schweiz kann mit der
verhandelten Ausnahme sicherstellen, dass nur Erwerbstätige und deren Familienangehörige
das Daueraufenthaltsrecht erhalten.
Kann die Schweiz das Daueraufenthaltsrecht von EU-Staatsangehörigen verweigern
oder es entziehen?
Die Schweiz kann das Daueraufenthaltsrecht verweigern, wenn die Person nicht während fünf
Jahren als erwerbstätig galt oder wenn die Person in diesen fünf Jahren während sechs Mo-
naten oder länger Sozialhilfe bezog. Einer Person, die bereits ein Daueraufenthaltsrecht hat,
kann es entzogen werden, wenn sie es rechtsmissbräuchlich erlangt hat. Die Tatbestände des
Rechtsmissbrauchs werden neu im Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) konkretisiert.
Schliesslich kann das Daueraufenthaltsrecht bei einer Verletzung der öffentlichen Ordnung
oder der öffentlichen Sicherheit verweigert oder entzogen werden.
Arbeitslosenversicherung:
Wie wird sichergestellt, dass der Aufenthalt unter fünf Jahren beendet werden kann,
wenn jemand keine Aussicht mehr hat, innert angemessener Frist wieder eine Arbeit zu
finden?
EU-Staatsangehörige ohne Daueraufenthaltsrecht, die unfreiwillig arbeitslos werden, müssen
sich innert einer festgelegten Frist beim zuständigen Arbeitsamt als Stellensuchende melden
und mit der öffentlichen Arbeitsvermittlung kooperieren, um das Aufenthaltsrecht als Erwerbs-
9/29
tätige nicht zu verlieren. Wenn sie trotzdem bis sechs Monate nach Ende der Arbeitslosenent-
schädigung keine andere Arbeit gefunden haben, verlieren sie das Aufenthaltsrecht als Er-
werbstätige, es sei denn, sie können glaubhaft machen, dass sie die Aussicht haben, innert
absehbarer Zeit eine neue Stelle zu finden. Die Kontrolle dafür setzt eine enge Kooperation
zwischen der öffentlichen Arbeitsvermittlung und Migrationsbehörde voraus, welche neu im
Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) und Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG) verankert wird.
Haben alle arbeitslosen EU-Staatsangehörigen Anspruch auf Sozialhilfe?
EU-Staatsangehörige, die sich nur zur Stellensuche in der Schweiz aufhalten sowie Nichter-
werbstätige (inklusive Studierende) und deren Familienangehörige sind grundsätzlich von der
Sozialhilfe ausgeschlossen. Unfreiwillig arbeitslose EU-Staatsangehörige, die weniger als ein
Jahr gearbeitet haben, verlieren den Anspruch auf Sozialhilfe sechs Monate nach der unfrei-
willigen Beendigung der Erwerbstätigkeit.
Bedingungsloser Kurzaufenthalt:
Was bedeutet der bedingungslose Kurzaufenthalt in der Praxis?
Neu müssen sich EU-Staatsangehörige, die in der Schweiz eine selbstständige Tätigkeit von
bis zu drei Monaten ausüben wollen, über das Meldeverfahren für wirtschaftlich motivierte
Kurzaufenthalte anmelden. So kann verhindert werden, dass die Beschränkung der grenzüber-
schreitenden Dienstleistungserbringung auf 90 Tage umgangen wird. EU-Staatsangehörige,
die in der Schweiz eine unselbstständige Tätigkeit von bis zu drei Monaten ausüben wollen,
müssen ebenfalls – wie bis anhin – vom Arbeitgeber in der Schweiz über das Meldeverfahren
angemeldet werden.
Bereits unter dem aktuellen nationalen Recht im AIG steht es EU-Staatsangehörigen zu, sich
ohne Bewilligung für einen Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit von bis zu drei Monaten in der
Schweiz aufzuhalten.
Bewilligungen
Ändert sich etwas an den Bewilligungen (L-, B- und C-Bewilligungen)?
Die aktuellen Aufenthaltstitel L und B bleiben nach Inkrafttreten des revidierten Abkommens
gültig und werden nach ihrem Ablauf durch eine Anmeldebescheinigung gemäss Richtlinie
2004/38/EG ersetzt, sofern die Bedingungen weiterhin erfüllt sind. Die C-Bewilligungen bleiben
weiterhin bestehen.
Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Ändert sich in der Praxis etwas für Grenzgängerinnen und Grenzgänger?
Die Beantragung der Grenzgängerbescheinigung soll neu ausschliesslich durch den Arbeitge-
ber über das Portal EasyGov erfolgen. Die Dauer der Bescheinigung soll ausserdem auch bei
unterjährigen Arbeitsverträgen immer ein Jahr betragen. Ansonsten ändert sich nichts für
Grenzgängerinnen und Grenzgänger.
Meldeverfahren:
Mit dem aufdatierten Freizügigkeitsabkommen (FZA) wird das Meldeverfahren für Er-
werbstätige unter drei Monaten beibehalten und auf Selbstständige ausgeweitet. Wie
wird das umgesetzt?
Die Meldepflicht ist eine gesetzliche Vorschrift, die im Entsendegesetz (EntsG) verankert ist,
und zwar für Arbeitnehmende, die bis zu drei Monaten in der Schweiz arbeiten. Durch das
aufdatierte FZA wird im EntsG diese Meldepflicht auch auf Selbstständige ausgeweitet. Es
werden Kontrollen vor Ort durchgeführt, bei welchen die entsprechenden Dokumente vorge-
zeigt werden müssen. Die Kontrolle dient der Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit.
Studiengebühren
Wie wird die Gleichbehandlung bei den Studiengebühren an den Hochschulen umge-
setzt?
10/29
Der Bundesrat beantragt in der Vernehmlassungsvorlage eine Anpassung des ETH-Gesetzes,
die die Gleichbehandlung von Studierenden aus der EU und der Schweiz bei den Studienge-
bühren an den ETH verankert. Betreffend kantonale Universitäten und Fachhochschulen sind
in verschiedenen Kantonen ebenfalls Anpassungen der entsprechenden Ausführungserlasse
erforderlich.
Werden die Studiengebühren für CH-Studierende ansteigen?
Die teilweise höheren Studiengebühren für Studierende aus dem EU-Raum werden an die Ge-
bühren für Schweizer Studierende angepasst. Das führt zu Einnahmeverlusten, die innenpoli-
tisch abgefedert werden sollen. Die Festlegung der Studiengebühren bleibt Sache der zustän-
digen Organe. Dass gewisse Hochschulen ihre Studiengebühren erhöhen werden, ist nicht
auszuschliessen. Doch das Schweizer Hochschulsystem ist überwiegend durch öffentliche Mit-
tel finanziert und nicht durch Studiengebühren, und die wegfallenden höheren Studiengebüh-
ren der EU-Studierenden tragen nur zu einem sehr kleinen Bruchteil zur Finanzierung der
Hochschulen bei.
Biometrische Identitätskarten:
Werden in der Schweiz alle Identitätskarten in biometrische Identitätskarten umgewan-
delt?
Die Schweiz wird ab einem Jahr nach Inkrafttreten des Änderungsprotokolls zum Freizügig-
keitsabkommen (FZA) biometrische Identitätskarten ausstellen. Alle bis zu diesem Zeitpunkt
ausgestellten nicht biometrischen Schweizer Identitätskarten bleiben in der EU weiterhin bis zu
ihrem Ablaufdatum gültig (maximal 10 Jahre).
Landesverweis:
Welche Regel kennt die EU?
Innerhalb der EU wird unterschieden, ob die Person ein Daueraufenthaltsrecht hat oder nicht.
Hat eine Person ein Daueraufenthaltsrecht, so sind die Hürden für einen Landesverweis höher
als bei Personen ohne Daueraufenthaltsrecht.
Welche Ausnahme konnte die Schweiz beim Landesverweis aushandeln?
Die Schweiz behält die Verpflichtungen aus dem aktuellen Freizügigkeitsabkommen (FZA) bei.
Die Landesverweisung von straffälligen ausländischen Staatsangehörigen erfolgt weiterhin ge-
mäss bisheriger Gesetzgebung (Art. 121 BV, Art. 66a ff. StGB). Wenn nachgewiesen werden
kann, dass eine Person wegen ihres Verhaltens eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebli-
che Gefahr darstellt, kann sie des Landes verwiesen werden.
Entspricht diese Regelung den Vorgaben der Verfassung und des Schweizer Rechts?
Ja, diese Regelung entspricht den heutigen Vorgaben der Bundesverfassung (Art. 121 BV), da
sich die FZA-Regeln im Vergleich zu heute nicht ändern. Deshalb ist es wichtig, dass die
Schweiz in den Verhandlungen eine Ausnahme für den Bereich der Landesverweisung ausge-
handelt hat.
Die Landesverweisung von straffälligen ausländischen Staatsangehörigen kann weiterhin ge-
mäss bisheriger Gesetzgebung erfolgen.
Niederlassungsbewilligung:
Welche Regeln gelten neu für die Niederlassungsbewilligung?
Sofern EU-Staatsangehörige die notwendigen Integrationskriterien erfüllen (Sprache, wirt-
schaftliche Teilhabe, guter Leumund, keine Sozialhilfeabhängigkeit etc.), können sie nach ei-
nem Aufenthalt von fünf Jahren die Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) erhalten. Früher
galten unterschiedliche Fristen von entweder fünf oder zehn Jahren, je nach EU-Mitgliedstaat.
Mit der gleichen Frist wird einzig sichergestellt, dass alle EU-Staatsangehörigen gleichbehan-
delt werden.
11/29
Was ist der Unterschied zwischen dem Daueraufenthaltsrecht und der Niederlassungs-
bewilligung?
Bei der Niederlassungsbewilligung handelt es sich um einen im nationalen Recht geregelten
Status. Das Daueraufenthaltsrecht ist ein Konzept aus dem EU-Recht. Die Niederlassungsbe-
willigung ist ausserdem eine Bedingung auf dem Weg zur Einbürgerung und setzt die Einhal-
tung der Integrationskriterien (Sprache, wirtschaftliche Teilhabe, guter Leumund, keine Sozial-
hilfeabhängigkeit) voraus. Das Daueraufenthaltsrecht allein genügt nicht für die Einbürgerung.
Grundsätzliche Würdigung:
Die Personenfreizügigkeit war einer der Gründe für den Abbruch der Verhandlungen
über das Institutionelle Abkommen (InstA). Was ist diesmal besser?
Die Schweiz hat ein dreistufiges Schutzkonzept mit (i) Ausnahmen und (ii) Absicherungen aus-
gehandelt, die die Schweizer Besonderheiten berücksichtigen. Die konkretisierte Schutzklausel
komplettiert als drittes Element das Schutzkonzept. Das ist ein grosser Mehrwert. Die Schweiz
weiss genau, welche Verpflichtungen sie eingeht, und die Umsetzung wurde mit den kantona-
len Vollzugsbehörden fortlaufend besprochen.
Führen die neuen Regeln zu einer stärkeren Zuwanderung aus der EU in die Schweiz?
Davon ist nicht auszugehen. Die Regeln bleiben grundsätzlich die gleichen. Wie hoch die Zu-
wanderung ist, hängt vor allem von der wirtschaftlichen Entwicklung in der Schweiz und in der
EU ab. Hat die Wirtschaft höheren Bedarf an Arbeitskräften aus der EU (z.B. Gesundheitsbe-
reich, Baubranche, Landwirtschaft), wandern auch mehr Menschen in die Schweiz ein. Zudem
wird sich künftig auch aufgrund der fortschreitenden demografischen Alterung der Schweizer
Bevölkerung, die zu einem Ersatzbedarf auf dem Arbeitsmarkt führt, ein steigender Bedarf an
Arbeitskräften ergeben.
Schutzklausel:
Wie funktioniert die Schutzklausel?
Die Schweiz kann die konkretisierte Schutzklausel bei schwerwiegenden wirtschaftlichen und
sozialen Problemen auslösen. Wenn die beiden Seiten im Gemischten Ausschuss keine Eini-
gung erzielen, kann die Schweiz nach 60 Tagen das paritätische Schiedsgericht anrufen, auch
gegen den Willen der EU. In dringlichen Fällen kann die Schweiz bereits nach 30 Tagen das
Schiedsgericht anrufen, und nach dessen Konstituierung innert 30 Tagen vorläufige Massnah-
men für die Dauer des Verfahrens beantragen.
Kann die Schweiz die Schutzklausel eigenständig anrufen und aktivieren?
Ja, die Schweiz kann eigenständig darüber entscheiden, wann sie die Schutzklausel anruft.
Auch wenn die EU im Gemischten Ausschuss nicht einverstanden ist, kann die Schweiz einen
Entscheid des Schiedsgerichts erwirken. Das Schiedsgericht entscheidet zudem nicht über den
Inhalt von Schutzmassnahmen, sondern nur, ob die Auslösesituation, also schwerwiegende
wirtschaftliche Probleme, vorliegt.
Wenn das Schiedsgericht zum Schluss kommt, dass schwerwiegende wirtschaftliche
Probleme vorliegen: Was passiert dann?
Die Schweiz entscheidet eigenständig darüber, welche Schutzmassnahmen sie einführen will.
Wenn durch die Schweizer Massnahmen ein Ungleichgewicht im Freizügigkeitsabkommen
(FZA) entsteht, kann die EU verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen innerhalb des FZA er-
greifen (z.B. identische Schutzmassnahmen gegenüber der Schweiz einführen).
Wenn das Schiedsgericht zum Schluss kommt, dass
keine
schwerwiegenden wirtschaft-
lichen Probleme vorliegen: Was passiert dann?
Die Schweiz kann eigenständig entscheiden, ob sie trotzdem an Schutzmassnahmen festhal-
ten will. Verletzen diese das FZA, muss die EU ihrerseits ein ordentliches Streitbeilegungsver-
12/29
fahren einleiten, damit sie verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen im Rahmen der Binnen-
marktabkommen (beim Landwirtschaftsabkommen nur im Rahmen des Lebensmittelsicher-
heitsprotokolls) ergreifen kann.
Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen der Schutzklausel?
Der Entscheid, den EuGH zu konsultieren oder nicht, obliegt dem Schiedsgericht. Das Schieds-
gericht kann den EuGH nur dann anrufen, wenn sich eine Frage im Zusammenhang mit der
Interpretation oder Anwendung von EU-Recht stellt. Im Schutzklauselverfahren prüft das
Schiedsgericht, ob es in der Schweiz zu «schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen» auf-
grund der Anwendung des FZA gekommen ist. Da es sich um keinen EU-Rechtsbegriff handelt,
hat der EuGH keine Zuständigkeit in dieser Angelegenheit.
Wann löst der Bundesrat die Schutzklausel aus?
Die Kompetenzen des Bundesrates bei der Prüfung der Auslösung der Schutzklausel sowie
beim Ergreifen von allfälligen Schutzmassnahmen werden im Ausländer- und Integrationsge-
setz (AIG) konkretisiert. Es werden Schwellenwerte definiert in den vier Bereichen Nettozu-
wanderung, Beschäftigung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern, Arbeitslosigkeit und So-
zialhilfequote. Werden diese Schwellenwerte überschritten, so
muss
der Bundesrat prüfen, ob
schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Probleme vorliegen und ob diese auch in Zusam-
menhang mit der Anwendung des Freizügigkeitsabkommens (FZA) stehen.
Der Bundesrat
kann
die Auslösung der Schutzklausel auch dann prüfen, wenn weitere wichtige
Indikatoren insbesondere in den Bereichen Zuwanderung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit,
Wohnungswesen oder Verkehr darauf hindeuten, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU
zu schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen in der Schweiz führen. Dies ist
auch dann möglich, wenn kein Schwellenwert überschritten ist.
Kann ein Kanton oder die Bundesversammlung beantragen, dass die Auslösung der
Schutzklausel geprüft wird?
Wenn ein nationaler Schwellenwert durch die Anwendung des FZA erfüllt ist und in einem Kan-
ton schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Probleme vorliegen, kann ein Kanton vom Bun-
desrat die Prüfung der Auslösung der Schutzklausel verlangen. Das Parlament kann auf seine
üblichen Instrumente zurückgreifen, um den Bundesrat mit einer Prüfung zu beauftragen.
Welche Massnahmen sind mit der Schutzklausel möglich?
Massnahmen müssen geeignet sowie zeitlich und in ihrem Umfang befristet sein. Unter dieser
Voraussetzung können mit Schutzmassnahmen die Rechte aus dem FZA vorübergehend ein-
geschränkt werden. Möglich wäre z.B. eine vorübergehende regionale Einschränkung der
Neuzuwanderung (Höchstzahlen), ein vorübergehender Inländervorrang oder eine vorgängige
Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen. Die EU kann in diesem Fall stets Ausgleichsmas-
snahmen innerhalb des FZA ergreifen, also beispielsweise das gleiche gegenüber der Schweiz
unternehmen.
Das Schiedsgericht entscheidet lediglich, ob die Voraussetzung von schwerwiegenden wirt-
schaftlichen Problemen gegeben ist. Der Bundesrat entscheidet eigenständig, welche Schutz-
massnahmen er ergreifen will.
Kann der Bundesrat eigenständig Schutzmassnahmen ergreifen oder muss er davor die
Zustimmung der Bundesversammlung einholen?
Das AIG enthält eine abschliessende Liste von Schutzmassnahmen, welche der Bundesrat
ergreifen kann bei Beschlüssen des Gemischten Ausschusses oder bei einem positiven Ent-
scheid des Schiedsgerichts. Bei einem negativen Entscheid des Schiedsgerichts kann der Bun-
desrat ebenfalls eigenständig entscheiden, trotzdem Schutzmassnahmen zu ergreifen. Sind
andere oder weitere Massnahmen nötig, die nicht im AIG vorgesehen sind, so unterbreitet der
Bundesrat dem Parlament eine entsprechende Vorlage, nötigenfalls im dringlichen Verfahren.
13/29
Vor dem Ergreifen von Schutzmassnahmen wie auch vor der Aktivierung der Schutzklausel
hört der Bundesrat in jedem Fall die Kantone, die Sozialpartner und die zuständigen parlamen-
tarischen Kommissionen an.
Gibt es in der EU keinen Lohnschutz?
Doch, um EU-weit den Schutz der Rechte und die Arbeitsbedingungen entsandter Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sicherzustellen und um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu ge-
währleisten, enthält das EU-Recht eine Reihe verbindlicher Vorschriften für die Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen entsandter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Diese Vorschriften sind in der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern festgelegt,
die 1996 angenommen und 2018 überarbeitet wurde. 2014 wurde die Durchsetzungsrichtlinie
mit dem Ziel angenommen, die praktische Anwendung der Entsendevorschriften zu verbessern
und so den Vollzug in den Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Die EU kennt zahlreiche Massnah-
men, wie Kontrollen, Sanktionen oder eine Solidarhaftung, welche auch in der Schweiz zum
Schutz der Lohn- und Arbeitsbedingungen umgesetzt werden.
Welche Ausnahmen können gemäss Verhandlungsresultat beim Lohnschutz abgesi-
chert werden?
Die Schweiz kann von Entsendebetrieben und selbstständigen Dienstleistungserbringern und
-erbringerinnen in Risikobranchen wie dem Baugewerbe weiterhin eine Voranmeldung verlan-
gen, um Kontrollen zu planen und wirksam durchzuführen. Ausserdem konnte vereinbart wer-
den, dass die Schweiz die Risikobranchen und die Kontrolldichte autonom bestimmen kann. In
Risikobranchen wird die Voranmeldefrist von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage verkürzt.
Zur Kompensierung der Verkürzung der Voranmeldefrist wurden mit den Sozialpartnern und
Kantonen inländische Massnahmen wie eine weitergehende Digitalisierung und Zentralisierung
des Meldeverfahrens vereinbart. Damit werden die Datenqualität und die Triage bzw. die Wei-
terleitung der Meldungen an die Vollzugsorgane verbessert und effizienter. Die Kontrolldichte
legt die Schweiz weiterhin autonom fest.
Zudem kann die Schweiz von Entsendebetrieben, die nach einem Lohnverstoss eine Konven-
tionalstrafe nicht bezahlt haben, die Hinterlegung einer Kaution verlangen, bevor sie erneut
Arbeitnehmende in die Schweiz entsenden dürfen. Wird die Kaution nicht hinterlegt, kann der
Betrieb sanktioniert werden: Es ist möglich, einem solchen Betrieb zu untersagen, für einen
Auftrag Arbeitnehmende in die Schweiz zu entsenden (Dienstleistungssperre).
Ausserdem müssen selbstständige Dienstleistungserbringer und -erbringerinnen bei einer
Kontrolle vor Ort weiterhin ihre Selbstständigkeit anhand von Dokumenten nachweisen.
Was bringt eine Non-Regression-Klausel?
Mit der Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU verpflichtet sich
die Schweiz, relevantes EU-Entsenderecht zu übernehmen. In den Verhandlungen wurde eine
Non-Regression-Klausel abgesichert, um eine Verschlechterung des Schweizer Lohnniveaus
zu verhindern.
Würden künftige Anpassungen der EU-Richtlinien oder neues EU-Entsenderecht das Schutz-
niveau in der Schweiz verschlechtern, muss die Schweiz, gestützt auf die Non-Regression-
Klausel, die Anpassungen oder das neue Recht nicht übernehmen. Die Klausel stellt folglich
eine Absicherung des Schweizer Schutzniveaus dar.
Der Lohnschutz war einer der Gründe für den Abbruch der Verhandlungen über das In-
stitutionelle Abkommen. Welche Fortschritte wurden gegenüber damals gemacht?
Die Anpassungen im Freizügigkeitsabkommen erlauben der Schweiz, die Risikobranchen und
die Kontrolldichte autonom festzulegen und bei einem Verstoss im Wiederholungsfall die Hin-
terlegung einer Kaution zu verlangen, bevor ein EU-Unternehmen erneut Dienstleistungen
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in der Schweiz erbringen darf. Die Nichtzahlung der Kaution kann mit verhältnismässigen Sank-
tionen bis zu einer Dienstleistungssperre sanktioniert werden, bis die Kaution bezahlt ist. Im
Institutionellen Abkommen (InstA) fehlten diese Elemente. Das InstA kannte auch keine Non-
Regression-Klausel und enthielt keine Absicherung des dualen Kontrollsystems der Schweiz.
Unter Einbezug der Sozialpartner und Kantonen sind zudem umfassende inländische Kompen-
sationsmassnahmen zur Absicherung des aktuellen Lohnschutzniveaus erarbeitet worden.
Worum geht es bei der sogenannten «EU-Spesenregelung», und wie wird sie nun umge-
setzt?
Gemäss der revidierten EU-Entsenderichtlinie richtet sich die Pflicht zur Übernahme der Kos-
ten einer Entsendung für Unterkunft, Verpflegung und Reisen nach den Vorschriften des Her-
kunftslandes. Gleichzeitig gilt das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort»,
welches in den Verhandlungen explizit abgesichert wurde.
Im aktualisierten Entsendegesetz (EntsG) wird festgehalten, dass sich die Auslagenentschädi-
gung für Reise, Verpflegung und Unterkunft grundsätzlich nach dem Herkunftsort, das heisst
nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften oder nationa-
len Gepflogenheiten richtet.
Im aktualisierten EntsG wird jedoch präzisiert, dass die Differenz zu den in der Schweiz ent-
standenen Spesen zu zahlen ist, wenn die Spesenentschädigung nach den Regeln des Her-
kunftslandes diese nicht deckt.
Dadurch wird die EU-Spesenregelung, aber auch das mit der EU ausgehandelte Prinzip «Glei-
cher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» umgesetzt. Die Schweiz nutzt damit bei der na-
tionalen Umsetzung der Spesenregelung den im Rahmen der revidierten EU-Entsenderichtlinie
zur Verfügung stehenden Spielraum, um das Risiko der Wettbewerbsverzerrung so gering wie
möglich zu halten und den Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten. Darüber hinaus werden in
die Schweiz entsandte Arbeitnehmende gleich behandelt wie inländische Arbeitnehmende.
Übrigens kennen die Nachbarstaaten der Schweiz, aus welchen rund 80% der Entsendungen
in die Schweiz erfolgen, heute ein ähnliches Niveau der Spesenentschädigung, wie sie für Un-
ternehmen hierzulande gelten. Andere EU-Mitgliedstaaten kennen tiefere Spesenentschädi-
gungen.
Ist das mit der EU verhandelte Paket ausreichend zur Wahrung des Lohnschutzes?
Mit der Vereinbarung des dreistufigen Absicherungskonzeptes wurden wichtige Bestandteile
der flankierenden Massnahmen und damit Schweizer Besonderheiten abgesichert. Diese Be-
sonderheiten sind damit von der dynamischen Rechtsübernahme ausgenommen. Es besteht
aber Einigkeit zwischen Bund, Kantonen und Sozialpartnern, dass das heutige Schweizer
Lohnschutzniveau zusätzlich zum Verhandlungsergebnis mit inländischen Kompensations-
massnahmen abgesichert werden muss. Die inländischen Begleitmassnahmen, auf die sich
die Sozialpartner und Kantone im März 2025 verständigt haben, sowie die weiteren Massnah-
menvorschläge des Bundesrates zur Gewährleistung der sozialpartnerschaftlichen Strukturen
beim Lohnschutz sichern in Kombination mit dem Verhandlungsergebnis das aktuelle Lohn-
schutzniveau ab.
Sind die inländischen Begleitmassnahmen eine Gefahr für den liberalen Arbeitsmarkt?
Die Massnahmen sind gezielt ausgerichtet auf die Bereiche, in denen Handlungsbedarf zur
Sicherung des aktuellen Lohnschutzniveaus besteht und richten sich in erster Linie an Entsen-
debetriebe aus dem EU-Raum. Für inländische Betriebe werden keine wesentlichen neuen
Belastungen geschaffen - der flexible Arbeitsmarkt wird nicht unverhältnismässig einge-
schränkt. Die Massnahmen fokussieren hauptsächlich auf die sensiblen Branchen des Bau-
haupt- und Bauausbaugewerbes.
15/29
Die EU hat in den letzten Jahren vieles reguliert. Wird die Schweiz mit dem MRA und den
neuen institutionellen Elementen des Pakets gezwungen sein, diese Regulierungen zu
übernehmen?
In den Verhandlungen konnte die Schweiz die Beibehaltung der Rechtsangleichung für das
MRA erreichen. Somit wird die Schweiz in den unter das MRA fallenden Bereichen weiterhin
ihre eigene Gesetzgebung verabschieden, dabei allerdings die Gleichwertigkeit mit derjenigen
der EU sicherstellen.
Das MRA umfasst 20 Produktsektoren. Die Rechtsangleichung gilt ausschliesslich für diese
Sektoren. Das MRA enthält keinerlei Verpflichtung für die Schweiz, eine Rechtsangleichung an
andere EU-Verordnungen, zum Beispiel über Entwaldung, künstliche Intelligenz, Cyber-Sicher-
heit oder Ökodesign, vorzunehmen.
Es besteht auch kein direkter Zusammenhang zwischen dem MRA und der EU-Richtlinie über
die Sorgfaltspflichten von Unternehmen (
Corporate Sustainability Due Diligence Directive
,
CSDDD) oder der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen
(
Corporate Sustainability Reporting Directive
, CSRD).
Die dynamische Rechtsübernahme ist im Übrigen auf den klar definierten Geltungsbereich des
MRA beschränkt. Soll dieser in Zukunft geändert werden, müssen beide Seiten im Rahmen
einer Revision zustimmen. Gegen den Willen der Schweiz kann das Abkommen also nicht er-
weitert werden.
Trotz fehlender Aktualisierung des MRA im Bereich der Medizinprodukte konnte sich die
Industrie sehr gut anpassen. Ist das MRA somit überflüssig?
Die Unternehmen haben sich tatsächlich rasch angepasst. Das ändert jedoch nichts an der
Tatsache, dass sie aufgrund unnötiger administrativer Kosten und zusätzlicher Verfahren be-
achtliche Verluste erlitten haben. Schweizer Hersteller mussten Niederlassungen in der EU
eröffnen (Bevollmächtigte oder Vertretung). Die Produkte mussten mit den Koordinaten der
Bevollmächtigten in der EU neu gekennzeichnet werden.
In der Schweiz ausgestellte Zertifikate für Produkte werden nicht mehr anerkannt. Es braucht
eine Zertifizierung in der EU, für die jedoch die Kapazitäten fehlen. Eine unabhängige Studie
schätzt, dass diese zusätzlichen Kosten KMUs besonders schaden könnten (vgl.
Infras (2025)
Vertiefungsstudie MRA – Fallbeispiel Medizinprodukte
). Sie weist zudem darauf hin, dass die
dadurch in der Schweiz entstandene Rechtsunsicherheit negative Auswirkungen auf Investiti-
onsentscheide hat. Ausserdem verzichten inzwischen gemäss Swiss Medtech 1200 ausländi-
sche Hersteller (von insgesamt 5000) darauf, den Schweizer Markt zu beliefern.
Eine Aktualisierung der ARM würde unnötige Verwaltungskosten für Unternehmen vermeiden
und zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten in der Schweiz beitra-
gen.
Wann kann das MRA für Medizinprodukte aktualisiert werden?
Die Schweiz und die Europäische Kommission haben die Modalitäten für ihre Zusammenarbeit
im Zeitraum von Ende 2024 bis zum Inkrafttreten des Pakets festgelegt. Sie werden in diesem
Rahmen eng zusammenarbeiten, um das ordnungsgemässe Funktionieren der bestehenden
Binnenmarktabkommen zu gewährleisten. Insbesondere werden sie über die Umsetzung des
MRA diskutieren und dabei den Bedürfnissen der Wirtschaftsakteure Rechnung tragen.
Wird durch die mögliche Übernahme von EU-Beihilferecht im Landverkehrsabkommen
(LVA) der Service public (nationaler und Regionalverkehr) in der Schweiz beeinträch-
tigt?
16/29
Nein. Der rein inländische Verkehr ist vom Landverkehrsabkommen nicht abgedeckt.
Lediglich im Geltungsbereich des LVA könnten Beihilferegeln allenfalls anwendbar werden.
Das Abkommen betrifft den internationalen Strassen- und Schienenverkehr (Güter- und Per-
sonenverkehr).
Ausserdem gibt es im EU-Beihilferecht zahlreiche Ausnahme- und Rechtfertigungsgründe für
staatliche Beihilfen, z.B. für Abgeltungen des öffentlichen Verkehrs, die Förderung der Verla-
gerung etc.
Auch die Förderung / Bestellung des grenzüberschreitenden Regionalverkehrs in Grenzregio-
nen (Tessin, Basel, Genf) bleibt möglich. Die Schweiz hat viel in grenzüberschreitenden Regi-
onalverkehr investiert. Sie möchte nach wie vor selbst bestimmen, wer diesen anbietet. Es gilt
deshalb keine Ausschreibungspflicht in diesem Bereich, was weiterhin Direktvergaben an die
SBB ermöglicht. Unternehmen die nur im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr (z.B. Tram, Cen-
tovalli-Bahn) tätig sind, sind ausgenommen.
Was für zusätzliche Angebote können ausländische Zugsunternehmen angesichts der
grossen Ausnutzung des Netzes und des Taktfahrplans noch erbringen?
Tatsächlich erfolgt die kontrollierte Öffnung des internationalen Schienenpersonenverkehrs un-
ter definierten Rahmenbedingungen, so dass die hohe Qualität des Schweizer öV-Systems
nicht negativ beeinträchtigt wird. So können ausländische Bahnunternehmen internationale
Verbindungen in die Schweiz nur dann anbieten, wenn für den Schweizer Streckenteil Fahr-
möglichkeiten (Trassen) ausserhalb der gesicherten Trassen für den nationalen Verkehr zur
Verfügung stehen.
Ungeachtet dessen wird mit der Öffnung eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Kun-
dinnen und Kunden von zusätzlichen Angeboten im grenzüberschreitenden Verkehr profitieren
können.
Könnte in Zukunft zum Beispiel auch die DB das Taktfahrplanangebot Basel-Bern erbrin-
gen?
Nein. Das Landverkehrsabkommen betrifft ausschliesslich den grenzüberschreitenden Perso-
nen- und Güterverkehr.
Laut Faktenblatt können ausländische Bahnunternehmen zur Integration ins schweize-
rische Tarifsystem verpflichtet werden, wenn sie Passagiere mit Start und Ziel in der
Schweiz befördern. Als Beispiel wird die Anerkennung von GA und Halbtax erwähnt.
Müssen die ausländischen Unternehmen ihre Tickets zu SBB-Preisen verkaufen?
Die EU-Bahnunternehmen müssen sich für das Ausstellen von Fahrausweisen (Tickets) für
solche Transporte ins System der schweizerischen öV-Branche integrieren (bei der Branchen-
organisation Alliance Swiss Pass). Damit wird sichergestellt, dass die Passagiere weiterhin nur
einen Fahrausweis benötigen, auch wenn sie für ihre Reise verschiedene Transportunterneh-
men benutzen. Das heisst auch, dass die Fahrausweise zu den gleichen Konditionen verkauft
werden, zu denen dies auch die SBB oder ein anderer schweizerischer Anbieter tut. Grund-
sätzlich gilt damit der normale schweizerische öV-Tarif. Es sind auch Sparbillette möglich, d.
h. Rabatte auf bestimmten Fahrausweisen. Diese Sparbillette sind dann wie z.B. auch bei der
SBB an einen bestimmten Zug gebunden.
Wird mit der Möglichkeit für EU-Bahnunternehmen, Tickets für schweizerische Binnen-
abschnitte internationaler Verbindungen zu verkaufen, nicht auch der inländische Bahn-
verkehr durch die Hintertür geöffnet?
Nein. Mit der Vorgabe, dass der Hauptzweck solcher Angebote der grenzüberschreitende
Transport sein muss, wird sichergestellt, dass solche grenzüberschreitenden Angebote mit
Zwischenhalten nicht dazu genutzt werden, den nationalen Markt zu öffnen. Zusätzlich gibt es
gemäss EU- und Schweizer Recht die Möglichkeit, zu prüfen, ob durch ein neues Angebot das
bestehende bestellte Angebot wirtschaftlich gefährdet sein könnte. Dies wäre ein Grund, das
neue Angebot nicht zu ermöglichen.
17/29
Wie wird definiert und kontrolliert, dass die grenzüberschreitende Beförderung der
Hauptzweck ist bzw. bleibt, wenn ausländische Bahnen künftig in Eigenregie in die
Schweiz fahren?
Es geht übergeordnet darum zu prüfen, ob die Mehrheit der Passagiere grenzüberschreitend
befördert wird. Die Kriterien werden auf Verordnungsebene festgelegt. Die Schweiz nimmt
diese Überprüfung eigenständig vor, sie wird von der RailCom auf Antrag vorgenommen.
Mit wie vielen neuen Bahnverbindungen ins Ausland können die Schweizer Kundinnen
und Kunden rechnen?
Mit der geplanten Öffnung wird eine Voraussetzung dafür geschaffen, dass neue Angebote für
die Kundinnen und Kunden entstehen können. Wie viele zusätzliche Angebote auf dieser Basis
entstehen werden, lässt sich nicht voraussagen.
Die Trassen-Restkapazität, bei welcher internationale Verbindungen ausländischer Bah-
nen Priorität erhalten sollen, wird auch für schweizerische Angebote wie Entlastungs-
oder Extrazüge genutzt. Wie viele dieser Züge fallen dem neuen Vorrang ausländischer
Züge zum Opfer?
Sollte es bei den Anträgen für die Vergabe der Rest-Kapazität zu Konflikten kommen, wird
geprüft, ob einvernehmliche Lösungen möglich sind, indem z.B. in Absprache mit anderen Un-
ternehmen bei bereits verplanten Zügen, die Vorrang haben, kleine Verschiebungen bei der
Abfahrts- oder Ankunftszeit in Bahnhöfen vorgenommen werden. In den letzten Jahren konnten
bei anderen Konfliktfällen durch die Trassenvergabestelle in den allermeisten Fällen solche
Lösungen gefunden werden.
Was ist mit den Verpflichtungen der EU, die Zulaufstrecken zu den NEAT-Basistunnels
auszubauen?
Die bestehenden Verpflichtungen aus dem Landverkehrsabkommen mit der EU und aus den
bilateralen Abkommen mit den Nachbarstaaten zur Koordination der Verkehrspolitik sowie zum
Ausbau der Infrastrukturen bleiben bestehen. Im Entwurf des aktualisierten Landverkehrsab-
kommen (Präambel zum Änderungsprotokoll) haben beide Seiten die Bedeutung dieser Mas-
snahmen noch einmal bekräftigt.
Wird die Schweiz Gigaliner zulassen müssen?
Die im Landverkehrsabkommen bestehende 40-Tonnen-Limite im Lastwagenverkehr konnte
abgesichert werden. Das heisst, auch wenn die EU ihre Höchstgrenze auf 60 Tonnen im
Schwerverkehr anhebt, wird dies die Schweiz nicht umsetzen müssen.
Auch weitere Errungenschaften der schweizerischen Verkehrspolitik wie das Nacht- und Sonn-
tagsfahrverbot für den Lastwagenverkehr werden abgesichert. Das Gleiche gilt für den Markt-
zugang für die schweizerischen Strassentransportunternehmen in den EU-Raum und das Ver-
bot von Inlandtransporten in der Schweiz durch EU-Strassentransportunternehmen.
Wie funktioniert das Luftverkehrsabkommen?
Die Schweiz übernimmt regelmässig per Bundesratsbeschluss die neuesten Rechtsentwick-
lungen der EU im Bereich Luftfahrt in den Anhang des Luftverkehrsabkommens. Diese sind im
Wesentlichen technischer Natur. Dadurch gelten für Unternehmen und Privatpersonen beider
Vertragsparteien einheitliche Wettbewerbsbedingungen, und ein gleichwertiges Sicherheitsni-
veau im Bereich der Zivilluftfahrt ist gewährleistet. Die übernommenen Rechtsakte sind in der
Schweiz direkt anwendbar. Im Gegenzug sitzt die Schweiz in verschiedenen EU-Gremien ein
und kann sich mit ihrem Expertenwissen in die Entwicklung der Gesetzgebung einbringen.
Wann tritt der Austausch der Kabotagerechte für beide Parteien in Kraft?
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Der Austausch von Kabotagerechten erfolgt ab der ersten Flugplanperiode nach Inkrafttreten
des Gesamtpaketes.
Wann kann die Schweizer Industrie an SESAR 3, der europäischen Initiative zur Verein-
heitlichung, Harmonisierung und Synchronisierung der Dienste im Rahmen des europä-
ischen Flugverkehrsmanagements, teilnehmen?
Im Rahmen der Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe sind Schweizer Unternehmen
bereits ab 2025 berechtigt, als sogenannte beneficiaries an Projekten von SESAR 3 teilzuneh-
men. Dies ermöglicht Schweizer Unternehmen von den relevanten Fördermitteln der EU zu
profitieren. Diese Mittel stammen aus dem EU-Budget von Horizon Europe.
Allgemeine Fragen zum Inhalt und Zweck des Abkommens:
Es gibt bereits ein Landwirtschaftsabkommen. Wozu also das Protokoll zur Lebensmit-
telsicherheit?
Vom geltenden Landwirtschaftsabkommen sind aktuell nur die tierischen Lebensmittel (wie z.B.
Fleisch, Käse, Eier) abgedeckt. Daher soll das Landwirtschaftsabkommen im Bereich der Le-
bensmittelsicherheit erweitert werden. Das Protokoll zur Lebensmittelsicherheit deckt neu auch
die nicht-tierischen Lebensmittel ab (wie z.B. Milchschokolade mit Nüssen oder Kartoffelchips).
Zukünftig soll damit ein gemeinsamer, umfassender Lebensmittelsicherheitsraum bestehen,
der alle pflanzengesundheitsrelevanten, veterinär- und lebensmittelrechtlichen Aspekte ent-
lang der Lebensmittelkette umfasst und den überwiegenden Teil des Handels mit Agrarerzeug-
nissen mit der EU abdeckt.
Dies stärkt den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten, gewährleistet die Sicherheit
von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln und ermöglicht eine Beteiligung am EU-Binnen-
markt durch einen umfassenden Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse.
Was beinhaltet die geplante Erweiterung des Abkommens über den Handel mit landwirt-
schaftlichen Erzeugnissen?
Das bestehende Abkommen deckt die Lebensmittelsicherheit nur teilweise ab. So ist der heu-
tige gemeinsame Veterinärraum z.B. auf den Handel mit Tieren, tierischen Produkten und Le-
bensmitteln tierischer Herkunft beschränkt. Mit der Erweiterung soll ein umfassender Lebens-
mittelsicherheitsraum entstehen, der alle pflanzengesundheitsrelevanten, veterinär- und le-
bensmittelrechtlichen Aspekte entlang der gesamten Lebensmittelkette abdeckt. Damit werden
neu also auch die Lebensmittel nichttierischer Herkunft miteingeschlossen.
Wurden die Agraranhänge des Landwirtschaftsabkommens geändert?
Nein. Die Anhänge 1-3 (gegenseitige Zollzugeständnisse und Käsefreihandel), 7 und 8 (Wein-
bauerzeugnisse und Spirituosen), 9 (landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel aus bi-
ologischem Landbau), 10 (Anerkennung der Kontrolle der Konformität mit den Vermarktungs-
normen für frisches Obst und Gemüse) und 12 (Schutz von Ursprungsbezeichnungen und ge-
ografischen Angaben für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel) des Landwirtschaftsabkommens
bleiben unverändert bestehen. Sie gelten weiterhin wie bisher und unterstehen nicht der dyna-
mischen Rechtsübernahme. Entsprechend werden sie wie bisher aktualisiert und weiterentwi-
ckelt. Bei Streitfällen in diesen Anhängen ist neu ein Schiedsgericht vorgesehen, jedoch ohne
Einbezug des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Bleibt die Schweizer Landwirtschaftspolitik (Direktzahlungen etc.) weiterhin eigenstän-
dig?
Ja. Schon das heutige Landwirtschaftsabkommen sieht keine Harmonisierung der Landwirt-
schaftspolitik zwischen der Schweiz und der EU vor. Beide Seiten bleiben frei in deren Ausge-
staltung. Dies wird sich mit der Anpassung des Landwirtschaftsabkommens nicht ändern.
19/29
Auch den bestehenden Grenzschutz für Agrarprodukte (d.h. Zölle und Kontingente) kann die
Schweiz unverändert aufrechterhalten.
Warum ist die Erweiterung des Landwirtschaftsabkommens wichtig?
•
Stärkung des Schutzes von Konsumentinnen und Konsumenten:
Risiken in der Le-
bensmittelkette können durch die Einbindung der Schweiz in europäische Netzwerke früh-
zeitig identifiziert werden. Die Schweiz erhält Zugang zur Europäischen Behörde für Le-
bensmittelsicherheit (EFSA) sowie zu Warn- und Kooperationssystemen wie RASFF
(Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel).
•
Verbesserte Beteiligung am Binnenmarkt:
Die Beteiligung am EU-Binnenmarkt wird für
Schweizer Agrar- und Lebensmittelproduzenten durch den Abbau nichttarifärer Handels-
hemmnisse erleichtert. Damit profitieren Schweizer Produzentinnen und Produzenten vom
erleichterten Handel mit der EU, was die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
•
Erhalt der Souveränität:
Das Abkommen stärkt die Lebensmittelwirtschaft, schützt die
Gesundheit von Pflanzen und Tieren und verbessert den Schutz von Konsumentinnen und
Konsumenten, während die Souveränität der Schweizer Agrarpolitik vollständig erhalten
bleibt.
•
Integration in EU-Systeme:
Neu wird die Schweiz in das EU-Zulassungssystem für Pflan-
zenschutzmittel eingebunden, was den Schutz von Pflanzen und Tieren zusätzlich stärkt.
Fragen zu den Auswirkungen auf Betroffene in der Schweiz:
Welche Bedeutung hat das Abkommen für Schweizer Konsumentinnen und Konsumen-
ten?
Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten werden mit dem erweiterten Abkommen noch
besser geschützt, weil die Schweiz künftig schneller Massnahmen zu ihrem Schutz oder auch
zum Schutz von Tieren ergreifen kann.
Ermöglicht wird dies durch den Zugang zu den relevanten Komitees und Warnsystemen der
EU. Dies stärkt den Täuschungsschutz und die Sicherheit von Lebens- und Futtermitteln. Zum
Beispiel erhält die Schweiz direkten Zugang zum Schnellwarnsystem
Rapid Alert System for
Food and Feed
(RASFF).
Ausserdem erhält die Schweiz Zugang zur Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit
(EFSA). Dadurch kann sie sich an den Diskussionen zwischen der EU-Kommission und den
EU-Mitgliedstaaten im Bereich Lebensmittelsicherheit beteiligen und ihre Anliegen frühzeitig
einbringen. Auch wird die Schweiz in die Zulassungsverfahren der EU, zum Beispiel für neuar-
tige Lebensmittel, integriert und erhält dadurch Zugang zu entsprechenden Daten.
Welche Bedeutung hat das Abkommen für die Schweizer Agrar- und Lebensmittelpro-
duktion?
Das Abkommen dient der gesamten Lebensmittelkette von der Primärproduktion über die Ver-
arbeitung, den Transport, den Verkauf bis hin zum Konsum. Ziel des Abkommens ist es, die
Sicherheit in jeder Phase dieser Kette zu gewährleisten, und so auch das Vertrauen in Schwei-
zer Lebensmittel weiter zu stärken.
Indem über den ganzen Lebensmittelsicherheitsraum Schweiz–EU hinweg einheitliche Regeln
gelten, werden für Schweizer Produzentinnen und Produzenten nichttarifäre Handelshemm-
nisse weiter abgebaut. Dies ermöglicht ihnen eine bessere Beteiligung am EU-Binnenmarkt.
Wird sichergestellt, dass die Schweiz sich beim Tierwohl nicht dem tieferen EU-Standard
angleichen muss?
Ja. Ausnahmen, die bereits heute im Landwirtschaftsabkommen bestehen, sind abgesichert.
Als Beispiel: Das heutige Tiertransitverbot gilt auch mit dem Protokoll zur Lebensmittelsicher-
heit. Wo die Schweiz ein höheres Schutzniveau aufweist, insbesondere in der Haltung von
landwirtschaftlichen Nutztieren, wird dies beibehalten.
20/29
Wird sichergestellt, dass Schweizer Standards bei gentechnisch veränderten Organis-
men (GVO) erhalten bleiben?
Ja. Die Schweiz konnte im GVO-Bereich eine Ausnahme aushandeln und kann diesen Bereich
weiterhin eigenständig regeln. Das bedeutet, dass in der EU zugelassene GVO-Lebensmittel
nicht automatisch in der Schweiz zugelassen werden. Dafür ist nach wie vor ein Zulassungs-
verfahren nach den strengen Sicherheitskriterien der Schweiz notwendig. So sind beispiels-
weise in der EU mehrere Sorten von gentechnisch verändertem Raps für die Herstellung von
Lebensmitteln (bspw. Rapsöl) zugelassen, in der Schweiz jedoch keine.
Was wurde über das ursprüngliche Verhandlungsmandat hinaus erreicht?
Im Sinn der Transparenz für die Konsumentinnen und Konsumenten hat die Schweiz erreicht,
dass die Pflicht zur Angabe des Herkunftslandes für Lebensmittel, die in der Schweiz vertrieben
werden, beibehalten werden kann.
Welche zusätzlichen Kontrollen und Auflagen wird es mit dem neuen Protokoll zur Le-
bensmittelsicherheit geben?
Da die Schweiz bereits heute ihre relevante Gesetzgebung weitgehend jener der EU angegli-
chen hat, sind die Grundprinzipien der amtlichen Kontrollen dieselben wie in der EU. Punktuell
kann es jedoch zu zusätzlichen Kontrollen kommen, zum Beispiel im Bereich der Pflanzenge-
sundheit.
Wo das EU-Recht Flexibilität für lokale Produktion und Vermarktung zulässt, hat dies die
Schweiz bereits umgesetzt und wird dies auch weiterhin tun.
Fragen zum Funktionieren des Landwirtschaftsabkommens:
Kann die EU Ausgleichsmassnahmen im Agrarbereich ergreifen?
Ausgleichsmassnahmen in den Agrar-Anhängen sind nur im Falle einer Verletzung des Land-
wirtschaftsabkommens (inkl. Lebensmittelsicherheit) möglich, nicht aber im Falle der Verlet-
zung eines anderen Binnenmarktabkommens. Das sieht der zwischen den Parteien ausgehan-
delte Streitbeilegungsmechanismus spezifisch so vor.
Müssen wir zukünftig EU-Recht automatisch übernehmen?
Nein, es wird keine automatische Übernahme von EU-Recht geben. Im Bereich des Protokolls
zur Lebensmittelsicherheit ist eine dynamische Rechtsübernahme unter Einhaltung des gelten-
den verfassungsrechtlichen Verfahrens der Schweiz vorgesehen.
Konkret heisst das: Verabschiedet die EU einen neuen Rechtsakt im Anwendungsbereich des
Protokolls zur Lebensmittelsicherheit, muss die Übernahme in der Schweiz entlang des übli-
chen Schweizer Verfahrens bei Staatsverträgen genehmigt werden. Sind sich die Schweiz und
die EU über die Übernahme einer neuen oder einer geänderten Bestimmung nicht einig, so
kann das Streitbeilegungsverfahren zur Anwendung gelangen.
Wichtig ist: Die Schweiz hat bereits heute ihre relevante Gesetzgebung inhaltlich weitgehend
jener der EU angeglichen. Im Sinne eines gemeinsamen Lebensmittelsicherheitsraums sollen
in allen 27 Mitgliedstaaten wie auch in der Schweiz identische Regeln gelten.
Für die bestehenden Agrar-Anhänge, die nicht Teil des Protokolls zur Lebensmittelsicherheit
sind, wird die dynamische Rechtsübernahme nicht gelten. Diese werden demnach weiterfunk-
tionieren wie bisher.
Wie steht es um die Assoziierung der Schweiz an den EU-Programmen für Bildung, For-
schung und Innovation?
21/29
Die Schweiz und die Europäische Kommission haben am 2. April 2025 das EU-Programmab-
kommen (EUPA) paraphiert. Der Bundesrat hat das Abkommen am 9. April 2025 gutgeheissen.
Die Unterzeichnung ist für November 2025 vorgesehen, damit eine vorläufige Anwendung des
EUPA und eine rückwirkende Assoziierung der Schweiz per 1. Januar 2025 an die Programme
Horizon Europe, Euratom und Digital Europe möglich sind. Eine Assoziierung an die For-
schungsinfrastruktur ITER ist ab 2026 vorgesehen, an Erasmus+ ab 2027, wobei hierfür noch
ein Finanzierungsbeschluss des Parlamentes im Rahmen des Gesamtpaketes Schweiz-EU
nötig ist.
Hat die Schweiz Zugang zu den von der EU als strategisch erachteten Bereichen?
Forschungs- und Innovationsakteure in der Schweiz waren bisher von den Ausschreibungen
in den von der EU als strategisch erachteten Bereichen (z.B. Quantum und Raumfahrt) in den
Programmen Horizon Europe und Digital Europe ausgeschlossen. Um Zugang zu diesen Aus-
schreibungen zu erhalten, müssen alle assoziierten Drittstaaten (mit Ausnahme der EWR-
Staaten) einen Validierungsprozess durchlaufen. Im Rahmen dieses Prozesses hat die
Schweiz für die Programme Horizon Europe und Digital Europe umfangreiche Unterlagen bei
der Europäischen Kommission eingereicht.
Die Europäische Kommission hat ihre Beurteilung im März beziehungsweise April 2025 abge-
schlossen. In den Arbeitsprogrammen der Programme Horizon Europe (für das Jahr 2025) und
Digital Europe (für die Jahre 2025-2027) erhält die Schweiz im Rahmen des Validierungspro-
zesses den vollen Zugang zu den Ausschreibungen der strategischen Bereiche (Künstliche
Intelligenz, Quanten-, Kommunikations- und Netzwerktechnologien sowie weltraumbezogene
Forschungsthemen).
Wie steht es um die Teilnahme der Schweiz an Erasmus+?
In den Verhandlungen wurden die Parameter für eine Assoziierung an Erasmus+ per 2027
vereinbart. Der Bundesrat unterbreitet dem Parlament den entsprechenden Finanzierungsbe-
schluss im Rahmen der Botschaft zum Paket Schweiz-EU. Vor Ende 2026 werden auf natio-
naler Ebene das erforderliche System für die Umsetzung der Assoziierung aufgebaut (u.a. Ak-
kreditierung der nationalen Agentur) und die Akteure im Bildungsbereich im Hinblick auf die
Assoziierung sensibilisiert. In diesem Zeitraum wird die aktuelle Schweizer Lösung für die För-
derung von internationaler Mobilität und Kooperation in der Bildung weitergeführt.
Wie steht es um die Teilnahme der Schweiz an der Forschungsinfrastruktur ITER?
Die Schweiz wird ihre Beteiligung an der Realisierung der internationalen Forschungsinfra-
struktur ITER im Bereich der Kernfusion ab 2026 wieder aufnehmen, und zwar als Mitglied des
europäischen gemeinsamen Unternehmens „Fusion for Energy“. Der Zeitpunkt der Wiederauf-
nahme – 2026 – wurde im beidseitigen Interesse der Schweiz und der EU festgelegt.
Wie viel werden die Programmbeteiligungen die Schweiz kosten?
Die finanzielle Beteiligung der Schweiz ist im EUPA geregelt. Es ist vorgesehen, dass die
Schweiz einen Pflichtbeitrag für jedes Programm bezahlt, an dem sie teilnimmt. Der Pflichtbei-
trag setzt sich aus einer Teilnahmegebühr und einem operationellen Beitrag zusammen, wobei
der operationelle Beitrag aus der Anwendung eines BIP-basierten Schlüssels auf das EU-
Budget für das jeweilige Programm errechnet wird. Die Teilnahmegebühr beträgt 4% vom ope-
rationellen Betrag.
Für die Teilnahme an Erasmus+, Euratom und ITER wurden Rabatte bis Ende 2027 verhandelt
(30% für Erasmus+, 4,6% für Euratom und ITER).
Für die Teilnahme an den Programmen Horizon Europe, Euratom und Digital Europe sind im
Jahr 2025 insgesamt 666 Mio. CHF vorgesehen, wobei unter anderem eine Reserve für Wech-
selkursschwankungen einberechnet ist. Die Pflichtbeiträge für die Folgejahre (bis 2027) bewe-
gen sich in ähnlichem Rahmen.
Die Teilnahme an EU4Health ist an das Inkrafttreten des Gesundheitsabkommens gebunden.
Aufgrund der mit dem innenpolitischen Prozess verbundenen Fristen sollten für den Zeitraum
2021–2027 keine finanziellen Auswirkungen entstehen.
22/29
Wie hoch wird der Programmbeitrag für die Assoziierung an Erasmus+ ausfallen?
Der Programmbeitrag berechnet sich aus einem Beitragsschlüssel, der das Programmbudget
(ca. 5 Milliarden EUR im Jahr 2027) und den Schweizer BIP-Anteil berücksichtigt. Zudem fällt
eine Teilnahmegebühr an. Er beträgt 171,7 Mio. CHF. Hinzu kommen nationale Zusatzkosten
in der Höhe von 22,3 Mio. CHF für den Betrieb der nationalen Agentur und Begleitmassnah-
men.
Müssen die notwendigen finanziellen Mittel noch beantragt werden?
Die finanziellen Mittel für das Horizon-Paket (Horizon Europe, Euratom, Forschungsinfrastruk-
tur ITER, Digital Europe) haben die eidgenössischen Räte bereits im Dezember 2020 bewilligt.
Der maximale Finanzrahmen in der aktuellen Programmgeneration (2021-2027) beträgt 5,4
Milliarden CHF. Dieser umschliesst sowohl die zukünftigen Pflichtbeiträge als auch die Über-
gangsmassnahmen, welche der Bundesrat in den Jahren 2021, 2022, 2023 und 2024 ergriffen
hat, um die Folgen der Nicht-Assoziierung abzufedern.
Für Erasmus+ ist ein gesonderter Finanzierungsbeschluss des Parlaments notwendig. Dieser
wird dem Parlament mit der Botschaft zum Paket Schweiz-EU unterbreitet.
Wie sieht die Teilnahme an zukünftigen EU-Programmen aus?
Das EUPA bildet die Grundlage für die Assoziierung der Schweiz an laufende und zukünftige
EU-Programme. Mit jeder Programmgeneration kann die Schweiz entscheiden, an welche für
Drittstaaten offenen Programmen sie sich assoziieren möchte.
Was passiert mit dem EUPA und mit der Assoziierung an die Programme, wenn die
Schweiz (Parlament oder Volk) das Paket ablehnen?
Die Schweiz und die EU haben vereinbart, die vorläufige Anwendung des Abkommens bis zur
Ratifizierung oder längstens bis Ende 2028 weiterzuführen.
Sollte das Paket Schweiz-EU vom Parlament oder vom Volk nicht genehmigt werden, müsste
der Bundesrat der EU das Ende der vorläufigen Anwendung mitteilen. Der Zeitpunkt der Been-
digung der vorläufigen Anwendung würde vom Bundesrat beschlossen. Ziel ist es, einen ge-
ordneten Ausstieg sicherzustellen mit Rücksicht auf die Situation der Gesuchstellenden für EU-
Beiträge.
Wird die EU die Schweiz aufgrund politischer Verknüpfungen wieder aus ihren Program-
men von einer Assoziierung ausschliessen können?
Das Abkommen sieht eine systematischere Beteiligung der Schweiz und eine nahtlose Konti-
nuität zwischen den Programmgenerationen vor. Im Allgemeinen ist nur in zwei Fällen eine
Aussetzung der Beteiligung der Schweiz möglich: wenn die Schweiz ihre Pflichtbeiträge zu den
Programmen nicht zahlt, oder wenn die Schweiz die Bedingungen für die Mobilität der Teilneh-
menden nicht mehr erfüllt. Es ist jedoch für beide Parteien möglich, ein Protokoll, das die Be-
teiligung der Schweiz ermöglicht, nicht zu verlängern oder das Abkommen zu kündigen, wie in
internationalen Abkommen üblich. In den für die bestehenden und künftigen Binnenmarktab-
kommen vorgesehenen institutionellen Elementen ist ein Streitschlichtungsmechanismus vor-
gesehen. In diesem Rahmen sind Ausgleichsmassnahmen nur innerhalb der Binnenmarktab-
kommen möglich. Ab Inkrafttreten des Pakets Schweiz-EU kann die EU daher aufgrund von
Problemen im Bereich der Binnenmarktabkommen keine sachfremden Retorsionsmassnah-
men, z.B. im Forschungsbereich, mehr treffen.
In welcher Form nimmt die Schweiz am EU-Weltraumprogramm teil?
Die Schweiz hat seit dem 1. Januar 2014 mit der EU ein unbefristetes GNSS-Kooperationsab-
kommen (GNSS steht für «Global Navigation Satellite System») abgeschlossen, das die Teil-
23/29
nahme der Schweiz am Satellitennavigationssystem Galileo sowie am «europäischen geosta-
tionären Navigationssystem» («European Geostationary Navigation Overlay Service»,
EGNOS) regelt.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) ist innerhalb der Bundesverwaltung zuständig für die
Teilnahme an den europäischen Satellitennavigationsprogrammen und vertritt die schweizeri-
schen Interessen gegenüber der EU.
Welche Aufgaben hat die EUSPA, und inwiefern unterscheidet sie sich von der ESA?
Die Zuständigkeiten für Galileo und EGNOS sind auf die Europäische Kommission, die Euro-
päische Weltraumorganisation («European Space Agency», ESA) sowie die Agentur der EU
für das Weltraumprogramm («European Union Agency for the Space Programme», EUSPA)
verteilt. Die Europäische Kommission trägt die strategische und politische Verantwortung, wäh-
rend die EUSPA die operative Agentur für das EU-Weltraumprogramm und all seiner Kompo-
nenten ist. Die ESA wiederum ist mit der Entwicklung des Systems beauftragt. Bei der ESA ist
die Schweiz (Voll-)Mitglied.
Warum soll das unbefristete GNSS-Kooperationsabkommen mit der Teilnahme der
Schweiz an der EUSPA erweitert werden?
Das unbefristete GNSS-Kooperationsabkommen sieht bereits vor, dass die Schweiz an der
EUSPA teilnehmen kann. Die Modalitäten der Teilnahme müssen jedoch in einem Zusatzab-
kommen geregelt werden. Durch die Teilnahme an der EUSPA kann sich die Schweiz aktiv am
Decision Shaping
der Agentur beteiligen und hat Zugang zu vertieften Informationen über die
EU-Weltraumprogramme. Ausserdem wird seitens EU die Teilnahme am öffentlichen regulier-
ten Galileo-Dienst («Public Regulated Service», PRS) an die Beteiligung an der EUSPA ge-
knüpft. Dies vor allem deshalb, weil die EUSPA bei PRS eine wichtige Rolle spielt, insbeson-
dere bei der Vergabe der PRS-Schlüssel für den Empfang des Signals. Die Verhandlungen für
ein PRS-Abkommen können aufgenommen werden, sobald das EUSPA-Abkommen unter-
zeichnet ist und die EU über ein entsprechendes Verhandlungsmandat verfügt.
Warum verhandelte die Schweiz erst jetzt über eine Teilnahme an der EUSPA?
Am 27. Februar 2008 definierte der Bundesrat die EU-Programme Galileo und EGNOS als
eines der prioritären Dossiers für eine Vertiefung der Beziehungen mit der EU. Der vertragliche
Einbezug der Schweiz sollte schrittweise erfolgen, da gewisse relevante EU-Rechtstexte noch
nicht verabschiedet waren. Das Mandat enthielt deshalb die Verhandlungsdirektiven für den
Abschluss eines ausbaufähigen Erstabkommens – das GNSS-Kooperationsabkommen.
Der Bundesrat beabsichtigte, die Verhandlungen über die im GNSS-Kooperationsabkommen
vorgesehene schweizerische Teilnahme an der EUSPA – bzw. an ihrer Vorgängeragentur –
unmittelbar nach Unterzeichnung des GNSS-Kooperationsabkommens aufzunehmen. Die An-
nahme der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 und die daraus resultierenden
Herausforderungen für die schweizerisch-europäischen Beziehungen verzögerten den Beginn
dieser Verhandlungen jedoch.
Erste Gespräche fanden kurz nach Vorliegen des entsprechenden Verhandlungsmandats der
EU im Jahr 2018 statt. Die Paraphierung des Abkommensentwurfs wurde dann allerdings sei-
tens EU mit Verweis auf die institutionellen Fragen blockiert. Aus demselben Grund konnten
die Verhandlungen über eine Teilnahme der Schweiz am PRS bisher nicht aufgenommen wer-
den.
Warum ist das EUSPA-Abkommen unbefristet gültig?
Das Abkommen dient der langfristigen Sicherstellung der Investition der Schweiz in die EU-
Infrastrukturprojekte Galileo und EGNOS, wofür eine unbefristete Geltungsdauer sinnvoll ist.
Da es der Komplettierung des unbefristet gültigen GNSS-Kooperationsabkommens dient,
konnten für das EUSPA-Abkommen dieselben Modalitäten vereinbart werden.
Das Abkommen kann von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung einer sechsmonatigen
Kündigungsfrist jederzeit aufgelöst werden.
24/29
Inwiefern profitiert die Schweizer Wirtschaft von einer Teilnahme an der EUSPA?
Unternehmen, die im Bereich Raumfahrt tätig sind, haben bereits durch das GNSS-Kooperati-
onsabkommen die Möglichkeit zur Teilnahme an Ausschreibungen bezüglich den Programm-
komponenten Galileo und EGNOS des EU-Weltraumprogramms. Die Mitgliedschaft in der
EUSPA wird Schweizer Unternehmen die Teilnahme an Ausschreibungen und Konsortien er-
leichtern und ein positives Zeichen für die Integration von Schweizer Akteuren setzen. Bei einer
zukünftigen Teilnahme am PRS könnten sich neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben, beispiels-
weise im Bereich von Produkten und Dienstleistungen, die Satellitentechnologie, -signale und
-daten verwenden.
Warum ist PRS für die Schweiz von Bedeutung?
PRS gilt als sicherheitskritischer Dienst und steht deshalb grundsätzlich nur EU-Mitgliedstaaten
offen. Drittstaaten benötigen für die Teilnahme ein Zusatzabkommen. In einer von geopoliti-
scher Instabilität und globalen Krisen geprägten Welt ist der Zugang zum PRS von strategi-
scher Notwendigkeit. Mithilfe des PRS können die Resilienz und Abwehrfähigkeiten der
Schweiz verbessert, die Funktionsfähigkeit von kritischen Sektoren der Infrastruktur bei Stö-
rungen sichergestellt und die Robustheit der Gesellschaft gegenüber Bedrohungen erhöht wer-
den. Ausserdem hat die Schweiz durch das GNSS-Kooperationsabkommen die Entwicklung
von PRS mitfinanziert und sollte deshalb auch davon profitieren können.
Wie realistisch ist das Zustandekommen des PRS-Abkommens? Wie sieht der entspre-
chende Zeithorizont aus?
Das unbefristete GNSS-Kooperationsabkommen sieht das Recht der Schweiz zum Zugang zu
PRS vor. Hierfür ist ein Zusatzabkommen notwendig. Ausserdem werden Verhandlungen über
den Zugang zum PRS von der EU an eine Teilnahme an der EUSPA geknüpft. Diese Voraus-
setzung wird mit der Anwendung des EUSPA-Abkommen erfüllt sein. Ziel ist es, nach Unter-
zeichnung des EUSPA-Abkommens mit ersten Gesprächen über einen Zugang zu PRS zu
beginnen.
Norwegen hat als einziger Drittstaat bereits ein PRS-Abkommen fertig verhandelt.
Finanziert die Schweiz mit der Teilnahme an der EUSPA nun doch auch das Erdbeobach-
tungsprogramm Copernicus mit, obwohl der Bundesrat 2024 vorerst auf eine Teilnahme
verzichtet hat?
An seiner Sitzung vom 1. Mai 2024 hat der Bundesrat beschlossen, dass die Schweiz nicht an
der aktuellen Periode des Copernicus-Programms teilnehmen soll, die bis Ende 2027 läuft. Ein
Beitritt in der nächsten Programmgeneration ab 2028 wird in der laufenden Periode geprüft.
Die EUSPA ist die operative Agentur aller Komponenten des EU-Weltraumprogramms – da-
runter die Satellitennavigationsprogramme Galileo und EGNOS, das Erdbeobachtungspro-
gramm Copernicus, die staatliche Satellitenkommunikationsinfrastruktur GOVSATCOM und
das Weltraumlageerfassungsprogramm SSA.
Zurzeit wird das Budget der EUSPA zu rund 95 Prozent für Galileo und EGNOS verwendet,
und es ist nicht zu erwarten, dass sich dies mittelfristig erheblich ändert. Sollte dies dennoch
der Fall sein, könnte dies im ungünstigsten Fall zu einem grösseren Beitrag an Aktivitäten der
EUSPA bezogen auf Programmkomponenten des EU-Weltraumprogramms führen, an wel-
chen die Schweiz nicht beteiligt ist (Copernicus, GOVSATCOM und SSA). Gegenwärtig ist das
Budget der EUSPA nicht nach Programmkomponenten aufteilbar. Sollte dies künftig jedoch
der Fall sein, ist eine anteilsmässige finanzielle Beteiligung der Schweiz vorgesehen. Das Ab-
kommen kann zudem gekündigt werden
Wie viel kostet die Schweizer Beteiligung an der EUSPA, und wie wird der Beitrag be-
rechnet?
Mit dem Abschluss des EUSPA-Abkommens verpflichtet sich die Schweiz zur Beteiligung an
den laufenden Kosten der Agentur. Der Finanzierungsschlüssel für die Berechnung der schwei-
zerischen Beiträge an die EUSPA entspricht dem Finanzierungsschlüssel für die Berechnung
25/29
der schweizerischen Beiträge an die GNSS-Programme Galileo und EGNOS: effektiv einge-
setzte Mittel x (BIP
CH
/ BIP
EU-Mitgliedstaaten
) = Schweizer Beitrag.
Der von der Schweiz zu leistende Beitrag ist – aufgrund dieses Finanzierungsschlüssels – ab-
hängig von verschiedenen Parametern, auf welche die Schweiz keinen Einfluss nehmen kann.
Dies sind namentlich die Entwicklung des BIP der Schweiz sowie der EU-Mitgliedstaaten und
das Budget der EUSPA.
Das Budget der EUSPA für 2024 betrug rund 80 Millionen Euro. Für die Schweiz ergibt sich
daraus ein Betrag von ca. 3,8 Millionen Schweizer Franken, inkl. einer generellen Gebühr für
die Teilnahme an einer EU-Agentur (2% des jährlichen Schweizer Beitrags im Jahr 2026, 3%
im Jahr 2027 und 4% ab 2028).
Weshalb leistet die Schweiz einen Kohäsionsbeitrag?
Der Schweizer Beitrag ist seit 2007 ein wichtiges Element des bilateralen Wegs. Er hat zum
Zweck, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten in Europa zu verringern und auf gemeinsame
Herausforderungen, wie die Migration, zu reagieren.
Die Schweiz investiert mit ihrem Beitrag in die Stabilität und den Zusammenhalt in Europa.
Dies sind wesentliche Voraussetzungen für einen gut funktionierenden EU-Binnenmarkt, an
dem die Schweiz sektoriell teilnimmt. Auch die EU investiert sehr stark in die Kohäsion: Für die
laufende Kohäsionsperiode 2021–2027 sind dafür in der EU rund 392 Milliarden Euro vorge-
sehen.
Ist der Kohäsionsbeitrag der Eintrittspreis zum EU-Binnenmarkt?
Die EU versteht ihn so. Für die Schweiz ist der Beitrag auch ein wichtiger Bestandteil ihrer
Europapolitik. Sie zeigt sich damit solidarisch und stärkt mit den finanzierten Projekten die Be-
ziehungen und Partnerschaften mit den Beitragsländern. Eine verbesserte wirtschaftliche Ent-
wicklung in den Partnerstaaten kommt auch der Schweizer Wirtschaft in Form von neu ge-
schaffenen Absatzmärkten und Investitionsmöglichkeiten zugute. Auch die Bewältigung ge-
meinsamer Herausforderungen wie der Migration liegt im direkten Interesse der Schweiz.
Wie hoch wird künftig der Schweizer Beitrag sein?
Die Höhe des Schweizer Beitrags für 2030–2036 – des ersten unter dem neuen Beitragsab-
kommen – beträgt 350 Millionen Franken pro Jahr. Umgesetzt und ausbezahlt werden die Mittel
des ersten Beitrags erst mit Inkrafttreten des Pakets Schweiz–EU und über einen Zeitraum von
zehn Jahren von 2030 bis 2039.
Für künftige Beitragsperioden nach 2036 wird die Höhe des Beitrags zwischen der Schweiz
und der EU gestützt auf das Beitragsabkommen festgelegt werden. Das Beitragsabkommen
schafft einen klaren, vorhersehbaren Rahmen für künftige Schweizer Beiträge. Damit erhöht
es die Rechtssicherheit und finanzielle Planbarkeit für die Schweiz.
Ist die Schweiz das einzige Land, das Kohäsionsbeiträge leistet?
Nein. Zum einen investiert die EU sehr stark in die Kohäsion (rund 392 Mrd. EUR für die Peri-
ode 2021–2027). Zum anderen leisten auch die EWR/EFTA-Staaten Norwegen, Island und
Liechtenstein im Rahmen der Finanzierungsmechanismen des EWR und Norwegens einen
regelmässigen Beitrag an die Kohäsion in der EU. Aktuell sind dies rund 440 Millionen Franken
pro Jahr, wovon der Grossteil (430 Mio. CHF) auf Norwegen entfällt. Die EWR/EFTA-Staaten
nehmen umfassender am EU-Binnenmarkt teil als die Schweiz.
Warum leistet die Schweiz eine zusätzliche finanzielle Verpflichtung für die Periode Ende
2024 – Ende 2029?
Als Teil des Pakets Schweiz–EU haben sich die EU und die Schweiz darauf verständigt, eine
zusätzliche finanzielle Verpflichtung für die Übergangsperiode ab Ende 2024 bis zum Start
26/29
des neuen Mechanismus vorzusehen. Diese zusätzliche finanzielle Verpflichtung soll den Um-
fang der Partnerschaft und der Zusammenarbeit Schweiz–EU in diesem Zeitraum widerspie-
geln.
Diese Zusammenarbeit wird in einer gemeinsamen Erklärung zwischen der Schweiz und der
EU festgehalten und umfasst beispielsweise die Anwendung der Übergangslösung bei den EU-
Programmen ab Anfang 2025. Die zusätzliche finanzielle Verpflichtung beläuft sich auf 130 Mil-
lionen Franken pro Jahr bis zum Inkrafttreten des Pakets Schweiz–EU. Für die Periode zwi-
schen dem Inkrafttreten des Pakets und Ende 2029 beträgt die zusätzliche finanzielle Verpflich-
tung 350 Millionen Franken pro Jahr. Dies berücksichtigt, dass ab diesem Zeitpunkt die
Schweiz und die EU ihre Zusammenarbeit nochmals deutlich vertiefen.
Wie stellt die Schweiz sicher, dass die Gelder richtig eingesetzt werden? Was passiert,
wenn die Empfängerstaaten ihre Verpflichtungen nicht erfüllen?
Die Mittel fliessen nicht ins EU-Budget, sondern werden direkt in den Partnerstaaten für ge-
meinsam vereinbarte Programme und Projekte eingesetzt. Dabei kann die Schweiz eigene
thematische Schwerpunkte einbringen und sicherstellen, dass die Mittel in Zusammenarbeit
mit den Partnerstaaten zielgerichtet eingesetzt werden. Zudem ist ein leistungsfähiges und ef-
fizientes Überwachungs- und Steuerungssystem für die Programme und Projekte vorgesehen.
Bei Korruptionsfällen oder bei Verletzung der gemeinsamen Werte (z. B. Rechtsstaatlichkeit)
kann die Schweiz wirksame Massnahmen ergreifen, etwa die Suspendierung von Zahlungen.
Können sich auch Schweizer Unternehmen daran beteiligen?
Schweizer Unternehmen können sich gleichberechtigt an den Ausschreibungen von Vorhaben
beteiligen, die in den Partnerstaaten über den Schweizer Beitrag finanziert werden. Zudem
sind 2 % des Beitrags reserviert für den sogenannten Schweizer Expertise- und Partnerschafts-
fonds. Diese Mittel können für Unterstützungsmassnahmen durch Schweizer Unternehmen
und Institutionen verwendet werden. Darüber hinaus dürften für Schweizer Unternehmen ins-
besondere die öffentlichen Ausschreibungen in der EU, die unter anderem aus den EU-Kohä-
sionsmitteln finanziert werden, wirtschaftlich interessant sein.
Wozu braucht es überhaupt ein Stromabkommen? Die Schweiz hat doch die Energie-
krise unbeschadet überstanden, nationale Stromreserven aufgebaut und den Ausbau
der Erneuerbaren Energien beschleunigt.
Die Schweiz ist physisch eng in das europäische Stromsystem eingebunden. Die Kooperation
mit der EU ist zentral, um die Netzstabilität, die Versorgungssicherheit und den Stromhandel
zu stärken.
Die EU ist daran, einen europäischen Strombinnenmarkt zu errichten. Die Schweiz und die EU
wollen Ihr Energiesystem bis 2050 dekarbonisieren. Dies bedingt eine weitgehende Elektrifi-
zierung und einen starken Ausbau von erneuerbaren Energien. Grenzüberschreitende Strom-
flüsse nehmen stark zu. Um die Stabilität des Schweizer Stromsystems auch künftig sicherzu-
stellen, ist eine geregelte Einbindung der Schweiz wichtig. Mit dem Stromabkommen wird die
Verfügbarkeit der Stromimportkapazitäten, auch in Energiekrisen, völkerrechtlich abgesichert.
Dabei darf die Schweiz weiterhin Reserven bilden, wenn diese notwendig sind. Bei der Eruie-
rung des Reservebedarfs hat die Schweiz Flexibilität ausgehandelt, was ihr mehr Spielraum
gewährt.
Neben dem zentralen Beitrag an die Netzstabilität und Versorgungssicherheit hat ein Stromab-
kommen weitere Vorteile: Die flexible Schweizer Wasserkraft kann optimal auf den europäi-
schen Märkten eingesetzt werden, die Rechtssicherheit in den Beziehungen mit der EU er-
leichtert Investitionen in Produktionsanlagen und Übertragungsnetze von Schweizer Akteuren
27/29
in der Schweiz und in Europa. Die Herausforderung der Dekarbonisierung des Schweizer Ener-
giesystems bis 2050 kann im Verbund mit Europa einfacher, sicherer und kostengünstiger be-
wältigt werden als isoliert.
Ist das Stromabkommen aus Sicht des Bundesrates ein Trumpf oder eine Last?
Ein Trumpf. Die Schweiz verfolgt gemäss Bundesverfassung das Ziel einer sicheren, wirt-
schaftlichen und umweltverträglichen Stromversorgung und hat jahrelang auf ein Stromabkom-
men hingearbeitet. Die Beteiligung am europäischen Strommarkt ist ein wichtiges Element, um
dieses Ziel zu erreichen. Das Stromabkommen regelt die Beteiligung der Schweiz am europä-
ischen Strommarkt, minimiert Risiken wie ungeplante Stromflüsse und erhöht die Versorgungs-
sicherheit. Der Service Public für die Stromkunden und -kundinnen bleibt auch unter dem
neuen Stromabkommen gewährleistet. Diese haben weiterhin die Möglichkeit, von einer regu-
lierten Grundversorgung mit regulierten Preisen zu profitieren.
Was bedeutet die ausgehandelte Strommarktöffnung in der Schweiz für die Konsumen-
tinnen und Konsumenten?
Heute sind die Haushalte und KMU nicht nur in der Wahl der Lieferanten eingeschränkt, son-
dern oft auch in der Auswahl der Stromqualität hinsichtlich Herkunft und Erneuerbarkeit des
Stroms oder der Flexibilität des Stromtarifs für steuerbaren Verbrauch von Wärmepumpen oder
Elektroautos. Das ändert sich mit der Öffnung. Mit der Strommarktöffnung für alle Endverbrau-
cherinnen und Endverbraucher können auch Haushalte und KMU von einer Vielzahl von An-
geboten bezüglich Preisniveaus, Herkunft und Erneuerbarkeit des Stroms sowie Flexibilität des
Stromtarifs auswählen. Derzeit besteht diese Wahlmöglichkeit nur bei Grosskunden. Die Haus-
halte und kleineren Unternehmen können aber auch weiterhin von einer regulierten Grundver-
sorgung mit regulierten Preisen profitieren. Die Ausgestaltung der Grundversorgung ändert
sich im Vergleich zu heute praktisch nicht.
Weiter sind Begleitmassnahmen vorgesehen, um die Konsumenten zu schützen: Eine Ver-
gleichsplattform für Angebote im Markt, eine Ombudsstelle mit Schlichtungsmöglichkeit und
Vorgaben für Vertragsinhalte im freien Markt,
Die Schweizer Regulierungsbehörde für den Strommarkt ElCom wird die Entwicklung des
Kleinkundenmarktes mit einem Monitoring beobachten und dem Bundesrat regelmässig dar-
über informieren.
Was bedeutet die Strommarktöffnung für die Stromproduzenten?
Heute gibt es in der Schweiz ca. 610 integrierte Stromversorger mit einer Versorgungspflicht
für die 2'121 Schweizer Gemeinden. Mit der Strommarktöffnung für alle Endverbraucherinnen
und Endverbraucher entfällt das Monopol bei der Stromlieferung an Haushalte und kleine Un-
ternehmen. Der Netzbetrieb verbleibt aber als Monopolbereich. Die lokalen Stromversorgungs-
unternehmen sind in ihren zugeteilten Netzgebieten künftig zuständig für die Grundversorgung.
Die zunehmende Komplexität der Strommärkte, die Digitalisierung und die neuen Möglichkei-
ten zu Eigenproduktion und lokalen Energiegemeinschaften führen unabhängig vom Stromab-
kommen zu einer gewissen Marktkonsolidierung. Mit der regulierten Grundversorgung und da
der Netzbetrieb im Monopol verbleibt, ist nicht mit einer starken zusätzlichen Marktkonsolidie-
rung durch das Stromabkommen zu rechnen.
Wird die Stromversorgung stabiler?
Ja, mit einem Stromabkommen darf die EU den Stromfluss in die Schweiz auch in Krisenzeiten
nicht einschränken, auch nicht bei einer Stromknappheit. Im Winter wird die Schweiz weiterhin
auf Stromimporte angewiesen sein. Die Kooperation mit der EU ist entscheidend, um diese
zuverlässig zu sichern. Das Stromabkommen verbessert die Versorgungssicherheit und senkt
den Bedarf an Stromreserven, was zu geringeren Umlagen auf der Stromrechnung für die End-
verbraucher führt.
Darf die Schweiz weiterhin Reserven bauen?
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Ja, die Schweiz kann weiterhin notwendige Reserven bauen, das EU-Recht erlaubt nationale
Massnahmen zur Versorgungssicherheit, wenn diese gerechtfertigt sind. Bei der Analyse des
Reservebedarfs kann die Schweiz ihre Eigenheiten berücksichtigen. Diese Flexibilität wurde
im Stromabkommen als Ausnahme festgelegt.
Für bestehende Reserven gibt es eine Übergangsfrist von sechs Jahren ab Inkrafttreten, um
notwendige Anpassungen an das Stromabkommen vorzunehmen.
Welche Sicherheit hat die Schweiz, dass die EU die Schweiz bei Strommangel nicht doch
abhängt?
Ohne Stromabkommen besteht eine solche Unsicherheit. Mit dem Stromabkommen wird die
Schweiz integraler Teil des EU-Strombinnenmarktes. Das stärkt die Versorgungssicherheit.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten verpflichten sich, den Stromexport in die Schweiz nicht ein-
zuschränken, auch nicht im Fall einer Energieknappheit. Das ist ausdrücklich im Stromabkom-
men festgehalten.
Wären die Beihilfen zur Förderung der erneuerbaren Energien bei einem Stromabkom-
men nicht mehr zulässig? Würde das den Ausbau hindern?
Falsch. Die Schweiz kann den Ausbau der erneuerbaren Energie entsprechend der Energie-
strategie fortsetzen. Sowohl die Schweiz als auch die EU streben den Ausbau der Erneuerba-
ren an. Für die Schweiz wurde diesbezüglich ein unverbindliches Ziel eines Anteils Erneuerba-
rer Energien am Endenergieverbrauch (nicht nur Strom) von 48,4% bis 2030 festgelegt (Stand
2023: Rund 34%). Dieses Ziel wurde im Einklang mit der Schweizer Energie- und Klimapolitik
sowie deren Massnahmen und Instrumente festgelegt.
Mit dem Stromabkommen gelten Beihilferegeln im Strombereich. Die Förderung der erneuer-
baren Energie ist in der EU grundsätzlich zulässig. Die wichtigsten Fördermassnahmen für
Erneuerbare (z.B. gleitende Marktprämie) wurden für eine Übergangsfrist von sechs resp. zehn
Jahren ab Inkrafttreten als mit EU-Recht vereinbar abgesichert. Nach Ablauf der Übergangs-
frist muss die neu zu schaffende Schweizer Beihilfeüberwachungsbehörde die Zulässigkeit von
Fördermassnahmen für Erneuerbare Energien beurteilen.
Was bedeutet das Stromabkommen für das Recht der Kantone zur Vergabe der Konzes-
sionen für die Wasserkraft?
Daran ändert sich nichts. Das Stromabkommen enthält keine Vorgaben zum Wasserzins oder
zur Konzessionsvergabe. Im Abkommen ist ausdrücklich festgehalten, dass die Schweiz über
die Bedingungen zur Nutzung ihrer Energieressourcen inkl. Wasserkraft eigenständig entschei-
den kann. Die bestehende Praxis der Kantone kann somit beibehalten werden. Ebenso wird
ausdrücklich festgehalten, dass sich die Schweizer Wasserkraft im Besitz der öffentlichen Hand
befinden kann. Der Heimfall von Wasserkraftwerken an die Kantone am Ende der Konzessi-
onsdauer ist EU-rechtlich unproblematisch.
Wären Staatsgarantien für Elektrizitätswerke noch möglich?
Die Schweizer Stromwirtschaft ist fast ausschliesslich im Eigentum der öffentlichen Hand. Das
öffentliche Eigentum ist auch im EU-Strombinnenmarkt weit verbreitet und unproblematisch
(siehe Stadtwerke in Deutschland/Österreich oder EDF in Frankreich). Stromversorger-müssen
nicht privatisiert werden und können vollumfänglich in öffentlicher Hand bleiben. Die Schweiz
behält die Kontrolle über ihre Stromversorgung.
Auch Massnahmen zur Restrukturierung/Rettung von in Schieflage geratenen Unternehmen
sind nach EU-Recht möglich. Ob eine allfällige explizite oder implizite Staatsgarantie eine staat-
liche Beihilfe darstellen könnte und ob sie zulässig wäre, hängt aber von deren Ausgestaltung
ab und wäre im Einzelfall zu prüfen.
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Muss die Schweiz mit einem Stromabkommen ihre kantonalen und kommunalen Strom-
versorgungsunternehmen aufteilen und privatisieren?
Nein. Vorschriften über das Eigentum von Stromunternehmen oder gar eine Privatisierung gibt
es nicht. Die Stromversorger, die nationale Netzgesellschaft Swissgrid und die Verteilnetzbe-
treiber bleiben im Besitz ihrer bisherigen Eigentümer und können auch vollumfänglich in öffent-
licher Hand bleiben. Die Schweiz behält die Kontrolle über ihre Stromversorgung.
Hat die Schweiz heute Zugang zu den Gesundheitssicherheitsmechanismen der EU?
Nein. Die Schweiz ist derzeit auf den guten Willen der EU angewiesen. Der Zugang zu deren
Mechanismen ist nur in Ausnahmefällen möglich und beschränkt sich auf Krisensituationen wie
die Covid-19-Pandemie. Während dieser Krise gewährte die Europäische Union der Schweiz
auf deren offizielle Anfrage hin vorübergehend und in begrenztem Umfang Zugang zu einem
Teil ihrer Mechanismen für die Krisenbewältigung. Seit dem Sommer 2023 hat die Schweiz
keinen Zugang mehr zu diesen Mechanismen und den entsprechenden Informationen. Sie ist
zudem nicht Mitglied des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von
Krankheiten (ECDC) und kann daher dessen Unterstützung und Fachwissen nicht in Anspruch
nehmen.
Umfasst der Geltungsbereich des Gesundheitsabkommens noch andere Themen neben
der Gesundheitssicherheit?
Der Geltungsbereich des Gesundheitsabkommens konzentriert sich auf die Gesundheitssi-
cherheit. Andere Bereiche der Gesundheitspolitik, wie Tabak oder die Patientenrechte in der
grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung, fallen nicht in den Geltungsbereich des Ge-
sundheitsabkommens. Das Abkommen sieht jedoch für die Schweiz und die EU die Möglichkeit
vor, ihre Zusammenarbeit in Zukunft auf andere Gesundheitsbereiche auszuweiten, wenn dies
im Interesse beider Seiten liegt.
Welche Auswirkungen hätte das neue Gesundheitsabkommen auf die Gesundheitsleis-
tungen in der Schweiz?
Das Gesundheitsabkommen sieht eine engere Zusammenarbeit im Bereich der Gesundheits-
sicherheit vor. Gleichzeitig wird die Schweiz auch in Zukunft eigenständig und souverän über
Massnahmen zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten oder anderen schwerwiegen-
den grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen in unserem Land entscheiden. Das Ge-
sundheitsabkommen hat keine Auswirkungen auf die Organisation des Gesundheitswesens in
der Schweiz.