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Der Bundesrat

Faktenblatt, 13.06.2025

Personenfreizügigkeit - Lohnschutz

Worum geht es?

Im 1999 zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossenen Freizügigkeitsabkommen (FZA)

wird nebst der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt auch die grenzüberschreitende Dienstleis-

tungserbringung durch sogenannte entsandte Arbeitnehmende und Selbstständigerwerbende

geregelt. Die Verhandlungen mit der EU über den Lohnschutz bezogen sich auf diesen Bereich

des FZA. Dabei geht es um Arbeitskräfte, die aus einem EU-Mitgliedstaat für einen bestimmten

Zeitraum durch einen Arbeitgeber oder als Selbstständigerwerbende zum Arbeiten in die

Schweiz kommen. Umgekehrt können auch Arbeitnehmende und Selbstständigerwerbende

aus der Schweiz Aufträge in einem EU-Mitgliedstaat erledigen.

In- und ausländische Unternehmen sollen die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben;

grenzüberschreitende Dienstleistungserbringungen dürfen nicht zu missbräuchlichen Unter-

schreitungen der schweizerischen Lohn- und Arbeitsbedingungen führen. Darum wurden in

der Schweiz im Jahr 2004 die sogenannten flankierenden Massnahmen (FlaM) eingeführt, die

im Entsendegesetz festgehalten sind. Dieses regelt unter anderem:

das Anmeldeverfahren bei Entsendungen;

die Lohn- und Arbeitsbedingungen von entsandten Arbeitnehmenden;

wie die Einhaltung der Bedingungen kontrolliert wird;

Sanktionen bei Verstössen;

Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit.

Auch innerhalb der EU sind die Bedingungen für Entsendungen geregelt. Mit der Weiterent-

wicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU wird die Schweiz grundsätzlich

das EU-Entsenderecht übernehmen.

Grundzüge

Für die Schweiz war es bei den Verhandlungen wichtig, das aktuell geltende Schutzniveau zu

garantieren und dem Risiko entgegenzuwirken, dass in der Schweiz ansässige Unternehmen

unlauterem Wettbewerb ausgesetzt werden. Um alle Personen, die in der Schweiz arbeiten,

gleich zu behandeln, galt es überdies den Grundsatz «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am

gleichen Ort» zu gewährleisten.

Die Schweiz und die EU einigten sich auf ein dreistufiges Absicherungskonzept. Dieses bein-

haltet Prinzipien, Ausnahmen und eine

Non-Regression-Klausel

:

Prinzipien: Die Schweiz und die EU halten sich an das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche

Arbeit am gleichen Ort». Bei Entsendungen aus der EU in die Schweiz bedeutet dies, dass

Entsendebetriebe ihren Arbeitnehmenden die in der Schweiz geltenden Löhne zahlen

müssen. Zudem wird die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Schweiz

auch weiterhin von den paritätischen Kommissionen (Gewerkschaften und Arbeitgeber)

und den Kantonen kontrolliert werden können (duales Kontrollsystem). Ebenso werden die

paritätischen Kommissionen die in ihren allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsver-

trägen (GAV) vorgesehenen Sanktionen weiterhin gegenüber Entsendebetrieben anwen-

den können.

Ausnahmen: Sie sichern Schweizer Besonderheiten ab, wie insbesondere die Voranmel-

defrist für ausländische Firmen, die in der Schweiz Dienstleistungen erbringen wollen.

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Diese Frist wird jedoch von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage verkürzt und gelangt

nur in Risikobranchen zur Anwendung. Ausserhalb der Risikobranchen besteht eine Mel-

depflicht vor Arbeitsbeginn. Die Kontrolldichte kann die Schweiz auch inskünftig autonom

bestimmen. Weiter darf die Schweiz auch künftig von ausländischen Entsendebetrieben

eine Kaution verlangen. Allerdings nur noch im Wiederholungsfall, d.h., falls ein Entsende-

betrieb bei früheren Einsätzen in der Schweiz seine finanziellen Verpflichtungen gegen-

über den paritätischen Kommissionen nicht beglichen hat. Bei Nichtleistung der Kaution

kann eine Sanktion bis hin zu einer Dienstleistungssperre bis zum Zeitpunkt der Zahlung

der Kaution verhängt werden. Die Dokumentationspflicht für selbstständige Dienstleis-

tungserbringerinnen und Dienstleistungserbringer als Massnahme zur Bekämpfung der

Scheinselbstständigkeit konnte schliesslich ebenfalls abgesichert werden.

Diese Ausnahmen bleiben auch abgesichert, wenn sich in der Zukunft das EU-Entsende-

recht ändern sollte, da sie von der dynamischen Rechtsübernahme ausgenommen sind.

Non-Regression-Klausel: Sie sichert das Schweizer Lohnschutzniveau gegen allfällige

Rückschritte ab: Sollten künftige Anpassungen des EU-Entsenderechts das zwischen der

Schweiz und der EU im angepassten FZA vereinbarte Schutzniveau betreffend die Arbeits-

und Lohnbedingungen bedeutend verschlechtern, müsste die Schweiz diese Anpassun-

gen aufgrund der vereinbarten

Non-Regression-Klausel

nicht übernehmen.

Zudem sicherte die Schweiz in den Verhandlungen ihre Rolle als Beobachterin bei der Euro-

päischen Arbeitsbehörde (ELA) ab.

Ein weiteres Element des Lohnschutzes ist die Spesenregelung. Rund 80% der Entsendungen

in die Schweiz erfolgen aus unseren Nachbarstaaten. Während diese ein ähnliches Niveau

der Spesenentschädigung haben, wie sie für Unternehmen hierzulande gilt, kennen andere

EU-Mitgliedstaaten tiefere Spesenentschädigungen. Falls entsandten Arbeitnehmenden we-

niger Spesen vergütet werden als inländischem Personal, besteht ein Risiko der Wettbewerbs-

verzerrung. Diese Herausforderung wurde in den Verhandlungen mit der EU intensiv diskutiert.

Die Schweiz wird bei der nationalen Umsetzung der Spesenregelung den im EU-Entsende-

recht zur Verfügung stehenden Spielraum maximal nutzen, um das Risiko einer Wettbewerbs-

verzerrung so gering wie möglich zu halten und den Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten.

Neu ist ausserdem die Teilnahme der Schweiz am Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) im

Bereich Entsendungen vorgesehen. Diese ermöglicht es, Informationen zu Entsendebetrieben

mit den zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten auszutauschen und Verwaltungssank-

tionen grenzüberschreitend zu vollstrecken.

Für die Übernahme des EU-Entsenderechts ins FZA sowie für die Teilnahme am IMI im Be-

reich der Entsendungen hat die Schweiz eine Übergangsfrist von drei Jahren nach Inkrafttre-

ten des Pakets Schweiz-EU ausgehandelt.

Umsetzung in der Schweiz

Umsetzungsgesetzgebung

Die Übernahme der relevanten Weiterentwicklungen des EU-Entsenderechts ins FZA sowie

die mit der EU verhandelten Ausnahmen von der dynamischen Rechtsübernahme in diesem

Bereich (Voranmeldefrist für Risikobranchen, Kautionspflicht bei nicht beglichenen Bussen,

Dokumentationspflicht für Selbstständigerwerbende) erfordern Anpassungen im Entsendege-

setz (EntsG). Die Kautionspflicht in den allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträ-

gen (GAV) wird gemäss EntsG für Entsendebetriebe bei Fällen von nicht beglichenen Bussen,

inklusive der Möglichkeit zur Sanktionierung bis hin zu einer Dienstleistungssperre bei Nicht-

leistung der Kaution, angewendet. Zudem wird das EntsG mit zwei im EU-Entsenderecht vor-

gesehenen Kontrollinstrumenten (Bereithaltung von Dokumenten vor Ort und Pflicht zur Be-

nennung einer Ansprechpartnerin oder eines Ansprechpartners) ergänzt.

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In Bezug auf die Umsetzung der im EU-Entsenderecht geregelten Kontroll- und Durchset-

zungsmassnahmen werden im EntsG Grundlagen für die Gewährung und die Inanspruch-

nahme von Amtshilfe zur Auskunftserteilung, zur Zustellung von Dokumenten und Verwal-

tungssanktionen sowie zur Vollstreckung dieser Sanktionen eingeführt. Die Zusammenarbeit

zwischen den Schweizer Behörden einschliesslich der paritätischen Kommissionen und der

Behörden der EU-Mitgliedstaaten erfolgt neu durch die Teilnahme am IMI.

Hinsichtlich der Spesenregelung wird im Entsendegesetz festgehalten, dass sich die Ausla-

genentschädigung für Reise, Verpflegung und Unterkunft grundsätzlich nach dem Herkunftsort

richtet. Es wird jedoch präzisiert, dass die Differenz zu den in der Schweiz entstandenen Spe-

sen zu zahlen ist, wenn die Spesenentschädigung nach den Regeln des Herkunftslandes

diese nicht deckt.

Inländische Begleitmassnahmen

Mit zusätzlichen Massnahmen sollen der Lohnschutz im inländischen Kontext gesichert und

das aktuell geltende Lohnschutzniveau erhalten werden. Das gesamte Massnahmenpaket zur

Sicherung des Lohnschutzes lässt sich in vier Kategorien einteilen (vgl. detaillierte Ausführun-

gen im

Faktenblatt Lohnschutz vom März 2025

):

Die erste Kategorie beinhaltet kompensatorische Massnahmen der Schweiz, welche auf-

grund der Verhandlungslösungen namentlich in den Bereichen Voranmeldung und Kau-

tion erforderlich sind, um das Schutzniveau aufrechtzuerhalten. Die Massnahmen be-

zwecken u.a. die Digitalisierung und Zentralisierung des Meldeverfahrens, um die Ver-

kürzung der Voranmeldefrist wettzumachen.

Die zweite Kategorie umfasst ergänzende Massnahmen, vor allem im Bausektor. Damit

soll Bedenken Rechnung getragen werden, dass die Dienstleistungssperre im Vollzug

des EntsG seitens der EU unter Druck geraten könnte.

Die dritte Kategorie betrifft die maximale Nutzung des innenpolitischen Spielraums bei

der Umsetzung der EU-Spesenregelung im EntsG.

Die vierte Kategorie beinhaltet Massnahmen, die die sozialpartnerschaftlichen Struktu-

ren beim Lohnschutz sichern. Dazu gehört die Sicherung der bestehenden GAV und der

damit verbundenen Prozesse.

Bedeutung für die Schweiz

Die Schweiz vereinbarte in den Verhandlungen mit der EU ein mehrstufiges Absicherungskon-

zept für den Lohnschutz. Gewisse Zugeständnisse an die EU waren jedoch unvermeidlich.

Deshalb einigten sich der Bundesrat, die Kantone und die Sozialpartner im März 2025 auf

zusätzliche innenpolitische Massnahmen. In der Summe führen das Verhandlungsergebnis,

die Umsetzungsgesetzgebung und die inländischen Begleitmassnahmen dazu, dass das

Lohnschutzniveau erhalten bleibt.

Konkret

Lohnschutzkonzept und Sanktionsmöglichkeiten:

Die Mitarbeiterin eines Schreinerbe-

triebs in einem EU-Mitgliedstaat hat in der Schweiz den Auftrag, Kücheneinrichtungen in

die Wohnungen eines neuen Mehrfamilienhauses einzubauen. Hierfür erhält sie denselben

Lohn und hat dieselben Arbeitsbedingungen wie eine Mitarbeiterin eines Schweizer

Schreinerbetriebs. Das gewährleisten die flankierenden Massnahmen in der Schweiz.

Diese schützen nicht nur das hohe Niveau der Lohn- und Arbeitsbedingungen von Arbeit-

nehmenden in der Schweiz, sondern auch Schweizer Betriebe vor wettbewerbsverzerren-

der Konkurrenz aus dem Ausland. Die Einhaltung der Lohnschutzvorgaben wird über-

wacht. Damit die Schweizer Vollzugsorgane ihre Kontrollen planen und durchführen kön-

nen, werden sie aufgrund der viertägigen Voranmeldefrist rechtzeitig vor dem Einsatz in

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der Schweiz informiert. Die Kontrollen werden wie bis anhin von Gewerkschaften und Ar-

beitgebern (paritätische Kommissionen) oder dem zuständigen Kanton durchgeführt.

Stellen die Kontrollorgane Verstösse gegen die schweizerischen Arbeits- und Lohnbedin-

gungen fest, wie beispielsweise zu tiefe Löhne, kommen verschiedene Sanktionen in

Frage:

o

Bussen oder bei schweren Verstössen eine Dienstleistungssperre.

o

Wenn die paritätischen Kontrollorgane bei einem früheren Auftrag des Schreiner-

betriebs aus dem EU-Mitgliedstaat einen Verstoss gegen die schweizerischen Ar-

beits- und Lohnbedingungen festgestellt haben und der Betrieb die ihm dafür auf-

erlegte Busse nicht bezahlt hat, muss der Betrieb vor Erfüllung des aktuellen Auf-

trags sicherheitshalber eine Kaution hinterlegen.

o

Leistet der ausländische Betrieb diese Kaution nicht, können die zuständigen kan-

tonalen Behörden eine Busse oder eine Dienstleistungssperre verhängen. Damit

würde ihm verboten, Aufträge in der Schweiz auszuführen.

o

Erhält die Mitarbeiterin aus dem EU-Land den in der Schweiz geschuldeten Lohn

von ihrem Arbeitgeber aus der EU nicht und wurde der Auftrag über ein Schweizer

Generalunternehmen vergeben, kann bei einem Verstoss durch ihren Arbeitgeber

das Generalunternehmen haftbar gemacht werden. Denn es besteht eine Haftung

des Erstunternehmers.

Spesenregelung:

Ein Prinzip des FZA gewährleistet gleichen Lohn für gleiche Arbeit am

gleichen Ort zum Schutz der Arbeitnehmenden und Betriebe in der Schweiz. Was die Ent-

schädigung von Spesen anbelangt, so sieht die EU-Regelung vor, dass Entsandten die

Spesen nach dem Recht ihres Herkunftslandes abgegolten werden. Das bedeutet, dass

der Arbeitgeber aus der EU die Spesen nach dem Recht seines Landes abrechnen muss,

wenn er seine Mitarbeiterin für den Kücheneinbau in die Schweiz entsendet.

Entsandten wie dieser Mitarbeiterin müssen für die Erledigung ihres Auftrags gemäss dem

Schweizer Entsendegesetz jedoch die tatsächlich in der Schweiz entstandenen Spesen

vergütet werden, wenn die Spesenentschädigung nach dem Herkunftsstaat diese Kosten

nicht oder nicht vollständig deckt. Entsprechend werden auch ihre Spesenentschädigun-

gen kontrolliert und bei einem Verstoss gegen das Schweizer Entsendgesetz sanktioniert.

Unter den EU-Mitgliedstaaten sind Länder mit einer unzureichenden Spesenentschädi-

gungsregelung die Ausnahme. Viele EU-Mitgliedstaaten, insbesondere unsere Nachbar-

staaten, kennen in ihrem nationalen Recht gleichwertige Spesenregelungen wie die

Schweiz. Und rund 80% aller Entsendungen in die Schweiz erfolgen aus einem Nachbar-

staat.

Was passiert, wenn ein Entsendebetrieb die Spesen nicht korrekt entschädigt?

Eine

paritätische Kommission stellt fest, dass der Schreinerbetrieb aus dem EU-Mitgliedstaat

gegen die Schweizer Spesenregelung verstösst und die Spesen zulasten des Lohns der

entsandten Mitarbeiterin gehen. Der Betrieb kann nicht belegen, dass die notwendig ent-

standenen Kosten für Reise, Verpflegung und Unterkunft während ihres dreitägigen Auf-

enthalts für den Kücheneinbau bezahlt wurden. Die paritätische Kommission meldet den

Betrieb wegen eines Lohnverstosses der zuständigen kantonalen Behörde, die eine Busse

aussprechen kann. Der Schreinerbetrieb könnte die Busse bis vor Bundesgericht anfech-

ten und argumentieren, dass die Spesen gemäss dem Recht seines eigenen Landes nicht

zu entschädigen sind, so wie es die EU-Spesenregelung vorsieht. Die Schweiz verfügt

demgegenüber aber über stichhaltige Argumente: Denn das revidierte Schweizer Entsen-

degesetz berücksichtigt das Recht des Herkunftsstaates, aber eben nur unter dem Vorbe-

halt, dass die notwendig entstandenen Kosten für Reise, Verpflegung und Unterkunft ge-

deckt werden. Wenn diese Kosten nicht gedeckt werden, wäre der Grundsatz «gleicher

Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», der auch Teil des revidierten FZA ist, verletzt.